Liebe Frau Erdmann,
mit Ihrer Unternehmensberatung Synwisery arbeiten Sie für Startups und etablierte Unternehmen bei der Entwicklung und erfolgreichen Vermarktung von innovativen, komplexen Produkten und Dienstleistungen im Gesundheitswesen und der Medizintechnik, häufig geht es dabei um KI und Software-Lösungen.
Was macht Ihr Unternehmen besonders?
Wir haben erkannt, dass Technologieentwicklung und Vermarktung gleichzeitig gedacht werden müssen, um erfolgreich zu sein. Oftmals laufen diese Prozesse in Unternehmen sequenziell, was zu Verzögerungen und manches Mal auch zu Fehlentscheidungen führt. Der Ansatz von Synwisery integriert technologische und marktspezifische Kenntnisse von Anfang an. Dies ermöglicht uns, gemeinsam mit unseren Kunden eine klare, differenzierende Positionierung zu erreichen und konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Diese bringen Unternehmen schnell auf das nächste Level. Die Partner, mit denen wir zusammenarbeiten, schätzen uns als direkte und ehrliche Sparringspartner, die den Weg zum Product-Market-Fit und zum Markterfolg beschleunigen.
Als Mitbegründerin und geschäftsführende Gesellschafterin von Synwisery bringe ich zusammen mit meinem Kollegen, dem Physiker und KI-Experten Dr. Stefan Braunewell, umfassende Erfahrungen aus Klinikkonzernen, Medtech-Start-ups, der Wissenschaft und der Beratung ein. Diese multidimensionale Perspektive ermöglicht es uns, die vielschichtigen Anforderungen und Bedürfnisse im Health-Tech-Bereich zu adressieren.
Was macht aus Ihrer Sicht Unternehmen aus, die dieses “nächste Level” erreicht haben?
Ganz ehrlich: Der Fokus auf die reine Technologie reißt keine Klinikkette vom Hocker. So denken aber noch die meisten Hersteller und Investoren im Health Tech Bereich. Zunächst einmal braucht es einen klaren Fokus auf den tatsächlichen Mehrwert der Lösung. Und dann gilt es, aus der Masse der Anbieter herauszustechen und medizinische Anwender:innen und betriebswirtschaftliche Entscheider:innen gleichermaßen zu begeisterten Kunden zu machen. Das beinhaltet neben dem bisher üblichen Produktmarketing eine aus unserer Sicht andere Art von strategischem Marketing und Vertrieb inklusive einer emotionaleren Zielgruppenansprache. Denn letzten Endes kaufen Menschen von Menschen. Im Business-to-Consumer-Geschäft hat man das schon lange verinnerlicht.
Ganz entscheidend sind zudem starke Partnerschaften mit Gesundheitsdienstleistern oder auch der Industrie, um die erfolgreiche Integration von KI-Lösungen in klinische Arbeitsabläufe sicherzustellen.
Und: Nichts ist aus unserer Sicht wichtiger, als dass die Verantwortlichen im Unternehmen gemeinsam an einem Strang ziehen. Oft liegen hier versteckte Projektblocker. Unsere Stärke liegt darin, Einigkeit herbeizuführen und die Innovationsprozesse durch stringente Roadmaps und transparente Kommunikation erfolgreich und gleichzeitig ganz pragmatisch zu steuern.
Welche Herausforderungen gibt es für Krankenhäuser bei der Implementierung von KI-Technologien? Und welche ethischen Bedenken erleben Sie?
Bereits die Auswahl passender KI-Lösungen aus einer komplexen und dynamischen Marktlandschaft erfordert Erfahrung, Zeit, ein entsprechendes Budget. Ebenso auch eine klare Zuständigkeiten: Wer kann in der Klinik potenzielle Lösungen hinsichtlich ihres langfristigen Mehrwerts und ihrer Integrationsfähigkeit in bestehende klinische Workflows evaluieren? Wer entscheidet über den Einsatz, wer bezahlt die Produkte, was sagen die IT und der Datenschutz dazu? Die Sales-Zyklen im Gesundheitswesen sind leider sehr lang.
Die heterogene IT-Infrastruktur vieler Krankenhäuser erweist sich oft als Hindernis für die flächendeckende Implementierung von KI. Vor diesem Hintergrund spielen Standardisierungsinitiativen wie HL7/FHIR oder MII eine Schlüsselrolle, indem sie essenzielle Standards für die Dateninteroperabilität setzen. Diese ermöglicht eine nahtlose Integration und Kommunikation zwischen verschiedenen Systemen und Institutionen.
Ethisch betrachtet rücken Datenschutz, Haftungsfragen und die Autonomie der medizinischen Entscheidungsfindung in den Fokus. Der Umgang mit sensiblen Patientendaten verlangt strikte Compliance mit Datenschutzregelungen und eine transparente Darstellung der Funktion und Leistungsgrenzen von KI-Systemen. Dies erfordert nicht nur eine sorgfältige Auswahl und Aufbereitung der Trainingsdaten und strenge Produkt-Validierung, sondern auch eine kontinuierliche Überwachung und Anpassung der KI-Systeme.
Welche Anforderungen kommen beim Einsatz von KI auf Klinikpersonal zu?
Beim Einsatz von KI im klinischen Umfeld benötigt das Klinikpersonal technisches Verständnis und Datenkompetenz, um die Systeme effektiv nutzen zu können. Zudem sind eine kontinuierliche Weiterbildung und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der IT sinnvoll, um die Integration von KI in den klinischen Alltag zu gewährleisten.
Es mangelt in den Kliniken an KI-Expertise. Abhilfe würden z.B. Digital Technische Assistenten und Digital Technische Fachangestellte schaffen. Der VDE treibt jetzt deren Ausbildung voran. Ein wichtiger Schritt!
In welchen Bereichen sehen Sie positive Beispiele für den Einsatz neuer Technologien und KI in Deutschland in Krankenhäusern und in der Medizintechnik?
Medizinische Diagnostik ist eines der führenden Felder für den Einsatz von KI. Hier speziell die Radiologie, Kardiologie und künftig sicher auch die Pathologie. KI ermöglicht schnellere und genauere Ergebnisse und die Entlastung medizinischen Personals von repetitiven und simplen Aufgaben, damit z.B. mehr Zeit für die komplexen Fälle bleibt. In der Chirurgie nimmt der Einsatz von robotergestützten chirurgischen Systemen zu. Diese ermöglichen präzisere und weniger invasive Eingriffe. Apps und Wearables für die kontinuierliche Überwachung von Patientendaten können frühzeitig Warnsignale erkennen und melden. Insbesondere in ländlichen Gebieten kann eine Fernüberwachung bei z.B. Bluthochdruck oder Herzinsuffizienz schnellere Hilfe in Notfällen bedeuten.
Der Einsatz der Technologie führt auch zu wesentlichen Verbesserungen in der Verwaltung, Logistik und Patienteninteraktion. So werden KI-gestützte Spracherkennungssysteme zunehmend für die zeitraubende Dokumentation genutzt werden. KI-Unterstützung der Logistik wie z.B. automatisierte Transportsysteme für Medikamente, Proben und medizinische Geräte, reduzieren Wartezeiten. Digitale Anmeldesysteme und Patientenmanagement-Plattformen erleichtern die Patientenaufnahme und die Terminplanung.
Wie wird sich aus Ihrer Sicht KI auf die Entscheidungsfindung in der Patientenversorgung auswirken?
KI unterstützt und verbessert bereits heute die Entscheidungsfindung in der Patientenversorgung, allerdings muss die finale Entscheidung stets in den Händen von notwendigerweise in der KI-Anwendung erfahrenen Pflegekräften und Ärzt:innen bleiben. Das Primat der menschlichen Expertise und Verantwortung sehe ich nicht fallen!
Persönlich würde ich mich über KI als ganz selbstverständlich genutzte Zweitmeinung freuen, um als Patientin ein noch sichereres Gefühl zu haben. Wir werden in nicht allzu ferner Zukunft an den Punkt kommen, an dem Patient:innen die Wahl ihrer Gesundheitseinrichtung auch davon abhängig machen werden, wie digital diese aufgestellt ist, von der Terminbuchung bis zur Nachsorge. Und unser aller Wunsch ist es doch, dass medizinisches Personal sich mehr Zeit für Patient:innen nehmen kann. Auch hierbei kann KI durch effizientere Workflows unterstützen.
Sie arbeiten auch für europäische Unternehmen. Was ist der Unterschied im Umgang mit neuen Technologien im Gesundheitswesen zwischen den Ländern?
Der Umgang mit neuen Technologien variiert stark im europäischen Vergleich. Dies liegt größtenteils an unterschiedlichen regulatorischen Auslegungen und den jeweiligen Gesundheitssystemen, aber auch an kulturellen Besonderheiten. Frankreich hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte in der Digitalisierung des Gesundheitswesens gemacht. Insbesondere durch die Einführung der Gesundheitsplattform „Health Data Hub“ mit einem einfachen und einheitlichen, transparenten sowie sicheren Zugang zu Gesundheitsdaten, um Forschung und Entwicklung zu unterstützen. Länder wie z.B. Dänemark, Estland und Finnland sind aufgrund ihrer modernen digitalen Infrastrukturen und einer offeneren Einstellung gegenüber datengetriebenen Technologien schon weiter. Schweden überzeugt durch den landesweiten Einsatz digitaler Patientenakten und Telemedizin-Dienste. In England ist die nationale Gesundheitsbehörde NHS Vorreiter bei der Integration von KI und datengetriebenen Ansätzen. Wir erleben aus unserer Sicht in Deutschland noch zu wenig KI-Expertise bei den zertifizierenden sogenannten „benannten Stellen“. Das kann die regulatorischen Prozesse deutlich verlängern und damit die Einführung von KI-Technologien erschweren.
Hinzu kommt ein heterogenes Investitionsklima in Digital Health: In Deutschland fiel das Finanzierungsvolumen von $44 Mio. im schon nicht so investitionsfreudigen Q4/23 auf magere $21,7 Mio. in Q1/24. Im Vergleich dazu gab es in England und Frankreich, $143 Mio. bzw. $101 Mio. für Health-Startups. Da habe ich schon Sorge, dass wir in Deutschland weiter ins Hintertreffen geraten.
Wie ist Ihr persönlicher Ausblick auf die kommenden 5 Jahre bezüglich neuer Technologien im Gesundheitswesen für Deutschland?
Mein persönlicher Ausblick für neue Technologien im Gesundheitswesen ist optimistisch und geprägt von signifikanten Entwicklungen, die das Potenzial haben, die Patientenversorgung und Behandlung grundlegend zu verbessern und Arbeitende in der Medizin von Bürokratie und ineffizienten Prozessen zu entlasten. KI-gestützte operationelle Exzellenz und ausgereiftere personalisierte/prädiktive Medizin sind für mich die kommenden transformativen Trends.
Angesichts der herausfordernden Finanzierungsbedingungen in Deutschland ist es allerdings entscheidend, dass Unternehmen sich darauf konzentrieren, signifikanten und nachweisbaren klinischen und geschäftlichen Mehrwert zu schaffen.
Was es dafür braucht: Eine explizite KI-Strategie in den Kliniken und eine kluge Priorisierung von Handlungsfeldern, damit das inflationär genutzte Wort „Disruption“ gerade im Gesundheitswesen nicht nur eine Worthülse bleibt. Der Erfolg von KI und digitalen Gesundheitslösungen erfordert ein tiefes Verständnis sowohl der klinischen und operativen als auch der Marktgegebenheiten.
Für die Hersteller gilt: Es geht nicht nur darum, ein Produkt auf den Markt zu bringen, sondern sicherzustellen, dass es damit validierte und bessere Ergebnisse gibt als ohne dessen Einsatz. Und natürlich auch aufzuzeigen, was konkret der spätere ROI für Kliniken sein wird. Eine umfassende Market-Fit Prüfung ist entscheidend, um wirklich nützliche und bestenfalls im Gesundheitsmarkt heiß begehrte technologische Lösungen anzubieten. Dafür sind Dr. Stefan Braunewell und ich mit Synwisery angetreten.
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