Im Executive Search, vor allem wenn es um die Besetzung von top source geht, gibt es derzeit fast kein Mandat, bei dem das Wunschprofil im Briefing nicht lautet: Weiblich, jung – bei multinationalen Unternehmen auch Women of Color.
Wer würde ernsthaft widersprechen wollen, dass mehr Diversität in der Unternehmenswelt ein richtiges und wichtiges und vor allem längst überfälliges Ziel ist?
Nach meiner Erfahrung haben das – bis auf ganz wenige Ausnahmen – fast alle Männer verstanden und leben und unterstützen das auch. Auf der Agenda steht das Thema seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Zunächst waren das nette Wort-Girlanden, Abteilung Absichtserklärungen. Das hat sich fundamental gewandelt. Seit zwei, drei Jahren ist es den Unternehmen ernst, ich würde sogar sagen: todernst damit. Aus einem Nice-to-have ist ein Must-Have geworden. Und je größer das Unternehmen, desto radikaler der Anspruch. Manchmal sind sogar Boni gekoppelt an die Erreichung von bestimmten Frauenquoten. Da wird man, und ich sage das mit aller Vorsicht, eher großzügig in der Auslegung der Anforderungen. Wie das eben so ist, wenn man Dinge chronisch unterschätzt und verschlafen hat, schwingt das Pendel nun mit voller Wucht zur anderen Seite. Mit dem Ergebnis: Nie waren die Zeiten besser für Frauen, beruflich durchzustarten. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Es gibt Kollateralschäden.
„In einer idealen Welt, mit unbegrenzten Ressourcen an top ausgebildeten Frauen – insbesondere solche im IT und Tech-Umfeld – wäre das alles kein großes Ding, um das mal salopp zu sagen.“
Natürlich müsste man sich da auch fragen, wo dann die Männer bleiben (dazu gleich mehr). Aber als Recruiter würde man sein Business as usual machen. Wir müssten nicht mehr mit der Brechstange herumhantieren, sondern elegant mit dem Florett. En Garde! Allez! Touché!
So ist es nicht. Das ist keine große Überraschung. Wir finden als Personalberater einen Markt vor, der ist, wie es ist. Wir haben hier wenig Steuerungsfunktion, sondern müssen mit dem Status quo leben und arbeiten. Und auch ich kenne den Spruch: „Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Wo er fehlt, sind viele Ausreden.“
Ja, wir sind kreativ. Und ja, wir schauen auch über den Tellerrand, in andere Branchen oder ins Ausland. Trotzdem reicht das nicht, um punktgenau zu besetzen. Was dann immer öfter passiert, ist, dass man Frauen einstellt, die zwar gut, aber in ihrer Entwicklung und den Skills noch nicht so weit sind. Brechstange, remember? Das wird dann ein Training on the job, oft auch sekundiert von männlichen, erfahreneren Kollegen.
„Das entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Männer, vor allem das Modell alter, weißer Mann, sind zu einem Ladenhüter geworden. Fast nicht vermittelbar. Fast eine aussterbende Spezies.“
Es passiert, dass mich Manager anrufen, Ende 50 und hochmotiviert, nochmal den Job zu wechseln. Ich habe viele Mandate, wo die Expertise zu 100 Prozent passt. Das Geschlecht und Alter aber zu 100 Prozent nicht. Ich kann nichts tun für sie. Vor allem bei den hochattraktiven, den „coolen“ Firmen. Der Markt, auch das ist ein eher neuer Befund, ist hier komplett geteilt. Ein kleinerer Mittelständler, der wenig auf Außenwirkung achtet oder wo das ESG-Paket noch nicht zugestellt wurde, ist da vielleicht noch flexibler.
Ja, das ist diskriminierend. Das Projekt Inklusion wird mit Exklusion vorangetrieben. Wir stecken mitten in einem Umbruch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, (geo-)politisch. Und wie immer, wenn sich die Tektonik verschiebt, geht das mit ein paar gewaltigen Blessuren vonstatten. Das „A“ in VUCA steht in Wahrheit nicht nur für Ambiguität, sondern für „Aua“. Wir befinden uns in einer Übergangszeit mit Zielkonflikten. In unserem Fall: Genderbalance versus Gleichbehandlung. Im Sinne eines größeren, übergeordneten Ziels muss man sich wohl oder übel für das kleinere Übel entscheiden.
„Wir haben bislang nur über Symptome gesprochen. Zum vollständigen Bild (sofern das bei diesem hochkomplexen Thema überhaupt möglich ist) gehört auch die Frage nach den Ursachen.“
Warum gibt es so wenig passende Frauen auf dem Arbeitsmarkt? Man landet hier immer wieder und zwangsläufig bei der Kultur. Vor allem nach dem ersten Kind zeigt sich eine Abrisskante. Hier sind Fliehkräfte am Werk (Frau cancelt das Projekt Karriere und flüchtet in einen Teilzeitjob), die man nicht länger ignorieren kann. Und da sind wir direkt bei der Verantwortung des Unternehmens. Ihnen muss es gelingen, diese Talente zu halten und ihnen – egal in welcher Lebensphase sie sind – attraktive Bedingungen bieten. Übrigens auch den jungen Vätern. Es würde enorm helfen, wenn Vereinbarkeit ein Elternthema wird. Und ja, man muss auch über die Eigenverantwortung der jungen Frauen sprechen. Wir wissen, dass Mädchen nicht mehr oder weniger begabt in Mathematik und Naturwissenschaften sind. Auf den Weg zur Uni in Richtung MINT-Fächer hat man einen Großteil verloren. In einer Studie von EY hat der Großteil von junge Studentinnen angegeben, dass sie einen Verwaltungsjob anstreben. Und hier beginnt das Elend.
Das bringt uns wieder zum Anfang: Wo bleiben die Männer? Wir müssen den Gap schließen, klar. Aber wir müssen uns auch immer wieder an das Wesen von Diversity erinnern. Vielfalt. In allen Dimensionen. Das schließt auch Männer ein, ohne die wird es nicht gehen. Auch die alten weißen Männer. Sonst wird aus dem Pendel auf längere Sicht eine Abrissbirne.
Was also tun? Wir rekrutieren weiter. Was auch sonst. Wir sind Profis. In der einen Hand die Brechstange, die andere greift schon zum Florett.
Interview mit Oliver Badura, COO der HAGER Executive Consulting GmbH mit F10! FemaleOneZero