Chief Growth Officer, Chief Innovation Officer, Chief Happiness Officer – anhand der C-Level-Positionen lässt sich gut ablesen, wie sehr sich die Arbeitswelt verändert und welche Themen für Unternehmen strategisch wichtiger werden.
Bei C-Level-Positionen gibt es viel Bewegung in den letzten Jahren, es sind zahlreiche neue Titel dazu gekommen. Was lässt sich daraus ableiten und inwiefern ist das ein Indikator über die Veränderung der Arbeitswelt?
Martin Krill: Wenn neue Berufsbezeichnungen entstehen, ist das meistens mehr als reine Semantik. Im C-Level-Bereich ist der Job-Titel Ausdruck von Macht, von beruflicher Anerkennung. Wenn das C-Level-Spektrum erweitert wird, also neue Positionen entstehen, ist das ein Zeichen von Veränderungen in der Unternehmensstrategie. Anhand der Konstellation unterhalb des CEOs lässt sich ablesen, welche Themenfelder gerade hoch im Kurs stehen und damit auch welche Unternehmensbereiche zukünftig wichtiger werden.
Was sind denn spannende CxO Positionen, die in den letzten Jahren dazugekommen sind?
Martin Krill: Das Thema Compliance zum Beispiel mit dem Chief Compliance Officer. Das sind Positionen, die mehr Relevanz in vielen Unternehmen bekommen haben. Auch das Thema Human Resources bekommt eine ganz andere Gewichtung. HR wurde früher fast stiefmütterlich behandelt und beschränkte sich im Wesentlichen auf den HR-Vorstand. Mittlerweile findet man in Firmen Chief Happiness Officer, was Rückschlüsse zulässt auf die Bedeutung der Unternehmenskultur. Und auch ein Chief Diversity Officer ist noch relativ neu. Diese Position gab es vor fünf Jahren noch gar nicht. Das alles sind Themen, bei denen sich Unternehmen strategisch positionieren wollen. Auch wichtiger geworden, wenn auch vielleicht nicht ganz so neu, ist der Bereich Security, der früher nicht unbedingt auf C-Level, sondern unter dem COO aufgehängt waren. Mittlerweile findet man bei Firmen oft einen Chief Information Security Officer oder sogar einen Chief Security Officer. Daran sieht man, dass auch das Thema IT-Security oder Security insgesamt eine ganz andere Relevanz bekommen hat.
Vorreiter in Sachen CxO sind ja die USA. Geht es darum, die immer globaler werdenden Jobs zu synchronisieren?
Thomas Wetzel: Mir war das schon geläufig, noch bevor es sich in der deutschen Wirtschaft durchgesetzt hat. Ich habe einen militärischen Hintergrund, habe viel im internationalen Kontext gearbeitet. Da gab es eine ganz klare Hierarchie: Die Chiefs repräsentierten den obersten Dienstgrad. Das waren diejenigen, die die Entscheidungsmacht hatten. Das ist nun auch in der Wirtschaft wichtig geworden, weil sich die Positionen nicht mehr so einfach abgrenzen lassen, wie das früher noch der Fall war. Nehmen wir zum Beispiel den Chief Growth Officer. Das ist ein weites Spektrum, je nachdem, ob es sich um ein kleines mittelständisches Unternehmen oder um einen Dax-Konzern handelt. Die Position ist die gleiche, aber aufgrund der Größe ergeben sich völlig unterschiedliche Spielmöglichkeiten. Die Botschaft, die aber qua Titel transportiert wird, bleibt: Ich bin derjenige, der entscheiden kann. Das ist in der Wirtschaft sehr wichtig geworden.
Wie ist das bei Start-ups? Manchmal hat man den Eindruck, da gibt man sich gerne wichtig klingende Titel. Böse gefragt: Ist das nicht auch ein bisschen Aufschneiderei?
Thomas Wetzel: Ich glaube schon, dass sie möglichst schnell mit Begrifflichkeiten operieren wollen, von denen sie glauben, das sei common sense in der Wirtschaft. Und natürlich kann man schon kritisch hinterfragen, ob es in einer Zwei-Mann-Firma wirklich nötig ist, das Wort ‚Geschäftsführer‘ so exzessiv zu verwenden – auch wenn es bei einer GmbH vom Gesellschaftsrecht faktisch natürlich korrekt ist.
Martin Krill: Andererseits versuchen gerade Firmen aus dem Start-up oder Scale-up Bereich, die Kundenseite zu spiegeln. Letztlich bietet das dann auch die Möglichkeit, den richtigen Gesprächspartner zu adressieren – also auf Augenhöhe zu kommunizieren. Das erklärt, dass man bei dem ein oder anderen Start-up eine Chief Sales Officer Positionen findet, obwohl das gesamte Team womöglich nur aus drei Leuten besteht.
Einerseits gibt es immer ausdifferenziertere Titel, andererseits auch die Tendenz zu flacheren Hierarchien – Stichwort: New Work. Wie ist das zu erklären? Das ist ja eigentlich ein Widerspruch.
Thomas Wetzel: Ich beschäftige mich seit Dekaden mit New Work, leider ist das inzwischen ein Buzz-Word, weil die genaue Definition fehlt. Vieles von dem, was heute unter dem Label „New Work“ läuft, gab es bereits in den 70ern, nur lief es damals unter Lean Management. Das aber nur als Randbemerkung, weil ich die Gefahr sehe, dass Begrifflichkeiten so diffus werden, dass man fast gar nicht mehr damit arbeiten kann. Eigentlich ist die Frage bei New Work nicht, ob und wie sich Hierarchien verändert haben. Vielmehr bedeutet New Work: Wie verhalten sich die Führungskräfte in der aktuellen Arbeitswelt? Wie gehen Sie mit den jungen Generationen um, die jetzt in den Unternehmen nachrücken? Wie schaffen Sie es, gute Dirigenten für diese Spezialisten zu sein und für weitere Solisten, die die nächsten Jahre in ihr Orchester kommen werden?
Thomas, Sie beschäftigen sich viel mit dem Thema Entwicklung. Wie kann man denn junge Talente am besten fördern? Was sind wichtige Skills?
Thomas Wetzel: Was zunehmend wichtig wird, ist das Thema „Führen“. Technologisch sind die Absolventen hervorragend ausgebildet. Was sie lernen müssen, sind social skills: Wie geht man mit anderen Menschen um? Ich glaube, junge Talente kann man dahingehend fördern, dass man sie früh in die Verantwortung bringt. Ich habe Leute erlebt, die mit Mitte zwanzig bereits fünf, sechs Mitarbeiter hatten und das wirklich gut gemanaged haben. Auffallend war, dass sie meist im Ausland ausgebildet wurden. Zu den Studiengängen dort gehören ganz selbstverständlich auch Fächer wie Psychologie und Philosophie, man lernt wie Gruppendynamiken funktionieren.
Martin Krill: Was ich in der Praxis sehe, ist, dass wir in den letzten fünf bis zehn Jahren in vielen Unternehmen einen Generationswandel hatten. Das heißt, in Banken, in Versicherungen und in eher traditionellen Unternehmen ist durch die Digitalisierung ein großer Innovationsdruck entstanden. Das hat dazu geführt, dass immer mehr auch junge Talente in C-Level-Positionen gekommen sind. Vor allem in Rollen wie CIO, dem Chief Information Officer oder CDO, dem Chief Digital Officer. Diese neuen Leader mussten und müssen natürlich eine sehr schnelle Lernkurve nehmen, was in diesem sich rasant verändernden Markt durchaus ein Vorteil ist. Gleichzeitig sehen wir jetzt auch in der aktuellen Phase, dass das auch kritisch sein kann, weil Entscheider-Positionen mit Personen besetzt sind, die noch keine Krise in ihrem Berufsleben haben managen müssten. Zumindest keine so fundamentale, wie jetzt durch COVID-19.
Inwiefern sind Position und Titel eigentlich immer noch erstrebenswert für diese Generation? Hat sich der Karrierebegriff verändert? Ist die junge Generation wirklich tendenziell Purpose getrieben?
Martin Krill: Ich glaube, das ist am Ende immer eine Frage der Persönlichkeit. Nicht jeder bringt die entsprechende Motivation oder vielleicht auch Fähigkeit mit. Andere wiederum legen extremen Wert auf Titel. Wir haben aktuell eine Umfrage zum Thema „Arbeitsplatz der Zukunft“ durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass es vielen Kandidaten verstärkt darum geht, ihre persönlichen Fähigkeiten ausleben zu können, Freiräume zur Gestaltung zu haben und dass dies als wichtiger eingestuft wird, als Verantwortung oder Macht zu haben. Dennoch gibt es nach wie vor viele, für die ein Titel sehr wohl entscheidend ist.
Thomas Wetzel: Ich teile Martins Meinung. Diese Frage, was eigentlich eine Karriere ausmacht, ist in der Tat spannend. Dazu noch ein Beispiel aus meiner Zeit beim Militär. Ich war Spezialist für Sprengstoff, habe Bomben und Terroristen-Päckchen entschärft. Und bei Einsätzen, etwa in Gelände mit Blindgängern, war ich – obwohl untergeordneter Dienstgrad – allen anderen auf diesem Platz überstellt. Einfach aufgrund meiner speziellen Ausbildung, die ich hatte. Selbst wenn ein hochrangiger Offizier anwesend war, konnte ich jederzeit sagen: ‚Wenn Sie meine Empfehlung ignorieren, dann tragen Sie später die Verantwortung, wenn etwas passiert.‘ Die haben sich dann immer gefügt. Aber ein zweites Mal wollte man ihnen trotzdem nicht begegnen (lacht). Um noch mal auf Martins Punkt zurückzukommen. Auch ich stelle fest, dass sich Menschen tendenziell stärker über Inhalte als über eine bestimmte Position in der Hierarchie definieren. Aber es wird noch ein bisschen dauern, bis sich das überall durchgesetzt hat.
Gutes Stichwort: Wie wird das in Zukunft aussehen, wenn die Arbeitswelt sich in Netzwerken organisiert und der feste Job bei einer Firma vielleicht nicht mehr Standard ist? Wird die Bedeutung der Titel nicht automatisch abnehmen?
Martin Krill: Ja, allerdings gehe ich davon aus, dass CxO-Titel, die eine internationale Akzeptanz haben, auch weiterhin existieren werden. Sicherlich wird sich die Aufgabenstellung und die Verantwortung in der New-Work-Umgebung verändern. Wie genau, lässt sich noch nicht abschließend sagen. Es ist aber sehr wahrscheinlich und in Teilen zeichnet sich das auch bereits ab, dass sich durch das Arbeiten in Netzwerken die Verantwortungsfelder entzerren und mehr Verantwortung auf viele dezentrale Teams und Einheiten übertragen wird.
Was mich jetzt noch interessiert, Thomas. Mit welchen Themen werden Sie verstärkt konfrontiert in Ihren Trainings?
Thomas Wetzel: Ein wichtiger Aspekt ist, wie unterschiedliche Generationen zusammenzuarbeiten können. Die Jüngeren überlegen: Wie schaffe ich es, Menschen zu führen, die zehn Jahre älter oder sogar in der Altersklasse meiner Eltern sind? Die Erfahreneren treibt die Frage um: Wie gehe ich mit der nachrückenden Generation um, die nachweislich besser ausgebildet ist und sich technologisch und wissenschaftlich auf einem höheren Niveau bewegt? Das Stichwort ist also Machtverlust. Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber für Unternehmen ist die Herausforderung: Was tun mit den Rest-Führungskräften? Und zwar nicht im Sinne von Loswerden, sondern von Mitnehmen. Es gibt ja zahlreiche Mitarbeiter, die bereits zwei, drei Dekaden im Unternehmen sind. Deren Veränderungsbereitschaft ist latent sehr gering ausgeprägt. Was mache ich mit denen, die keine Chancendenker mehr, sondern eher Denkmalpfleger geworden sind. Wie motiviert man die?
Heikles Thema. Was sind denn besondere Herausforderungen von Firmen, die im Umbruch sind?
Martin Krill: In vielen Unternehmen gibt es ja tatsächlich ein Nachfolgeregelungs-Thema. Und/oder es gibt neue Investoren, die einen Wandel herbeiführen wollen, insbesondere in der Führungsstruktur. Das hat zu tun mit der Implementierung von neuen Rollen bedingt durch die Digitalisierung und durch neue Geschäftsmodelle. Das kann einhergehen mit neuen Positionen auf C-Level. Sprich, das kann den Austausch der einen oder anderen Position zur Folge haben.
Ist das immer eine Frage des Alters? Oder geht es um ein bestimmtes Mindset?
Martin Krill: Ob jemand innovativ ist, neue Ideen mit einbringt und genügend Passion in seine Führungsaufgabe investiert, ist nicht zwingend an Alter gekoppelt. Das ist auch nicht an Geschlecht gekoppelt. Es geht vielmehr um die Zusammensetzung des Führungsteams, der Frage: Welche Dynamik entsteht da? Häufig sind Neubesetzungen das Ergebnis einer Analyse, welche Kompetenzen man zusätzlich benötigt. Und dann ist es keine Frage des Alters. Dann ist es wirklich eine Frage der Persönlichkeit und der Unternehmenssituation, was in dem Moment angezeigt ist. Zum Beispiel sehen wir aktuell, auch bedingt durch die schwierige Marktphase, dass der CFO in vielen Unternehmen wieder eine ganz neue Relevanz bekommt. Das Thema Finanzen und Controlling erfahren eine Aufwertung. Hier erleben wir, dass eher erfahrene und gestandene CFOs gefragt sind. Manager, die verschiedene kritische Marktphasen schon mal durchschifft haben. In ruhiger See kann jeder ein Boot navigieren. Doch was, wenn es stürmisch wird? In diesem Fall kann das Alter sogar ein Asset sein.