AUTOMOBILZULIEFERER UNTER STROM
Die HAGER Business Unit Automotive & Mobility führte bei der Top Voices-Podiumsdiskussion unter dem Titel „Transformation in der Automobilindustrie“ renommierte Experten der deutschen Automobilindustrie zusammen. Zentrale Themen waren die Resilienz der Autozulieferer und die stagnierende E-Mobilität. Die wichtigsten Einschätzungen und Prognosen.
Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer aktuellen Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) planen 82 Prozent der Unternehmen des automobilen Mittelstands vorgesehene Investitionen in Deutschland wegen mangelnder Absatzlage oder Absatzerwartung zu verschieben, zu verlagern oder ganz zu streichen. Mehr als jedes dritte Unternehmen sitzt in den Startlöchern für eine Investitionsverlagerung ins Ausland. Nicht nur der verschärfende internationale Wettbewerb fordere die Unternehmen stark. Die EU-Handelspolitik, der Mangel an Fach- und Arbeitskräften, gestiegene Energiekosten und nicht zuletzt eine Bürokratie an der Belastungsgrenze werden als Negativfaktoren angesehen. Ein Lichtblick in Sachen Zukunftsfähigkeit ist die Tatsache, dass die Potenziale von KI und Maschinellem Lernen erkannt werden – 36 Prozent der Unternehmen gaben in der VDA-Umfrage an, diese Technologien bereits einzusetzen, weitere 41 Prozent planen den Einsatz in absehbarer Zeit.
QUO VADIS ELEKTROMOBILITÄT?
Die HAGER Top Voices-Podiumsdiskussion „Transformation in der Automobilindustrie“ ging im Expertenkreis der Frage nach, die die vorrangig mittelständisch geprägten Zulieferunternehmen (und die Automobilhersteller) derzeit am meisten beschäftigt – Welche Zukunft hat die Elektromobilität in Deutschland? Der Transformationsprozess scheint im internationalen Vergleich trotz aller Beteuerungen festzustecken. Den Zulieferern und Autoherstellern fehlt angesichts widersprüchlicher Signale aus der Politik die Planungssicherheit. Einige in der VDA-Umfrage ermittelten Zahlen resultieren aus dieser Situation.
Die von der HAGER Business Unit Automotive & Mobility unter der Leitung von Business Unit Manager Daniel Norpoth eingeladenen Experten gaben Einschätzungen und Handlungsempfehlungen für bessere Wachstumsperspektiven in der Zulieferindustrie. Unter ihnen waren Automotive-Verbandsvertreter aus Berlin-Brandenburg. Der Hauptstadtstandort zählt mittlerweile zur „Champions League der europäischen Mobilitätsregionen“. Rund 200 ansässige Unternehmen aus der Automobil- und Zulieferindustrie liefern Komponenten und Bauteile direkt ans Band.
AN DER ONLINE-PODIUMSDISKUSSION NAHMEN TEIL:
- Harald Bleimeister, Vorstandsvorsitzender des automotive BerlinBrandenburg (aBB e.V.) und Vorstandsmitglied des Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD)
- Michael Bose, Leiter Internationalisierung aBB e.V.
- Holger Czuday, Leiter Cluster Automotive bei Bayern Innovativ (Bayerische Gesellschaft für Innovation und Wissenstransfer)
- Dr. Jens Katzek, Geschäftsführer ACOD und Mitglied im 13-köpfigen Expertenkreis „Transformation der Automobilwirtschaft“, der von Bundesminister Dr. Robert Habeck berufen wurde.
- Stephan A. Vogelskamp, Geschäftsführer automotiveland.nrw und Geschäftsführer der Bergischen Struktur- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Solingen
- Daniel Norpoth, Leiter der HAGER Business Unit Manager Automotive & Mobility
- Max Krüger, Moderation (Bettertrust)
Die Diskussionsteilnehmer sind in ihren Verbänden und Clustern nah an dem, was die Automobilzulieferer beschäftigt. So begleitet der aBB e.V. bei der praxisnahen Konzeptentwicklung von Technologielösungen, entwickelt strategische Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette und hilft bei der Vorfinanzierung über Förderprogramme. Das Clustermanagement automotiveland.nrw wiederum stärkt gemeinsam mit seinen Mitgliedern die Automobilindustrie in Nordrhein-Westfalen auf dem Weg zur automatisierten und elektrifizierten Mobilität.
Der Cluster Automotive bei Bayern Innovativ ist Enabler und Förderer von Innovationen und Fahrzeugtechnologien, stärkt mit seinen Aktivitäten die bayerische Automobil- und Zulieferindustrie und begleitet Unternehmen in der Transformation.
Die Zulieferer seien frustriert und verunsichert, hieß es in der Expertenrunde. Nach dem Aus der staatlichen Prämie sind die Verkaufszahlen von E-Autos gesunken. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Elektroautos in China und damit auch der Konkurrenzkampf.
Dr. Jens Katzek, ACOD:
„Die Zulieferer erreichen widersprüchliche Signale aus der Politik, das verunsichert natürlich. So wurde die Umweltprämie für Elektroautos über Nacht gekippt, die wichtige Batterieforschung ebenfalls.
Das Problem reiche weiter, so Stephan A. Vogelskamp, automotiveland.rnw:
„Wir glauben an die Elektromobilität und bereiten uns vor. Doch wer trägt die Verantwortung für den flächendeckenden Ausbau der Ladeinfrastruktur? Es gibt keinen in Deutschland, der hier strategisch den Hut aufhat. Das muss politische Agenda werden. Die gesamte Diskussion um Elektromobilität läuft im politischen Sektor gerade sehr fahrlässig und naiv.“
Auf den Punkt brachte es Holger Czuday, Bayern Innovativ:
„Dass 2035 keine Verbrenner mehr zugelassen werden, scheinen viele noch nicht wahrhaben zu wollen.“
Es fehlten die staatlichen Fördertöpfe, erklärte Harald Bleimeister, aBB und ACOD:
„Heute stehen Unternehmer aus der Automobilindustrie wie ein klassischer Kreditnehmer vor der Bank. Die Co-Finanzierung durch den Bund gibt es nicht mehr. Die Töpfe sind leer. Diese staatliche Rückenstärkung muss zurückkehren, wenn sich Unternehmen multivalent in der Zukunft aufstellen.“
Das Thema Resilienz geht in der deutschen Automobilindustrie um. Denn überleben werden im globalen Mobilitätswandel, der von Jahr zu Jahr einen Gang höher schaltet, jene Protagonisten, die eine gesunde Widerstandskraft in der Transformation aufbauen, darin waren sich die Teilnehmer einig. Allerdings seien hier nicht allein die Unternehmen in der Pflicht.
Dr. Jens Katzek:
„Entscheidend ist eine stärkere Kundenorientierung. Es muss für den Verbraucher billiger werden E-Autos zu kaufen als Verbrenner. Dafür müssen die laufenden Kosten reduziert werden, etwa bei der Kfz-Steuer. Auch der Ladestrom muss steuerlich besser behandelt werden. Schließlich wurde jahrzehntelang Dieseltreibstoff entsprechend bevorzugt.“.“
Es lohne sich, nach China zu schauen, so Michael Bose, Leiter Internationalisierung aBB:
„China hat 2014 begonnen, eine konzertierte Strategie im Bereich der Elektromobilität aufzustellen. Die Bereichstechnologie nutzend und sektorenoffen wurden alle Partner zusammengefasst, von der Verwaltung über Forschung und Entwicklung bis hin zur gesamten Infrastruktur. Das ist bereichsübergreifender Pragmatismus und vernetzte Zielsetzung. Wenn man Technologiesprünge erreichen will, muss eine Regierung eine solche Verantwortung führend übernehmen.“
Stephan A. Vogelskamp:
„Chinesische Hersteller, die größtenteils komplett auf Elektromobilität setzen, sind die aussichtsreicheren Zielkunden für die mittelständischen Unternehmen (KMUs) in unserem Umfeld. Die chinesischen OEMs sind deshalb von Interesse für unsere Zulieferer, weil sie die eindeutigeren Unternehmensstrategien und deutlich spürbareren Expansionsbudgets haben. Auch deren klare Exportstrategie nach Europa überzeugt. Wachstumsimpulse sehe ich also eher bei den asiatischen OEMs generiert.
Kritisch formulierte er:
„Unstrukturiert und so kleinteilig wie derzeit wird die Transformation in Deutschland nicht funktionieren. Man muss mit großen regionalen Modellprojekten beginnen, auch beim Ausbau von multimodalen Mobilitätsangeboten.“
Doch wie die Resilienz oder „Selbstheilungskräfte“ stärken? Fast übereinstimmend sprachen sich die Teilnehmer für eine breitere Aufstellung der Zulieferer aus.
Harald Bleimeister:
„Die Zulieferer sollten sich darum kümmern, auch in anderen Industriebereichen Fuß zu fassen, kurz, sie müssen sich branchenoffener darstellen, beispielsweise in den Bereichen Medizintechnik oder Raumfahrtechnik. Das Besinnen auf die eigene Technologiekompetenz ist wichtig. Man muss breiter denken.“
Holger Czuday ermutigte:
„Bloß nicht den Kopf in den Sand stecken. Der Blick sollte nach vorn gerichtet sein. Die Innovationskultur sowohl in der Forschung als auch in den Unternehmen ist eine Stärke des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Marktakzeptanz der E-Autos ist aber in der Tat wesentlich.“
Daniel Norpoth, Leiter der HAGER Business Unit Manager Automotive & Mobility, und Moderator Max Krüger bedankten sich bei den Teilnehmern für die sachliche und informative Diskussion.
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