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NACHHALTIGKEIT UND GRÜNE CHEMIE BEI MERCK

12/10/2023

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Interview mit Dr. Petra Wicklandt, Head of Corporate Sustainability, Quality and Trade Compliance, Senior Vice President, Merck Group, Darmstadt

Nachdem die Merck Group beschloss, Nachhaltigkeit als essenziellen Bestandteil der Unternehmensstrategie zu verankern, hat sich vieles im Konzern verändert. Im Gespräch mit HAGER Executive Consulting, erläutert Dr. Petra Wicklandt, Chief Sustainability Officer bei Merck, wie die Implementierung der ehrgeizigen Nachhaltigkeitsstrategie vorangetrieben wird. Erfahren Sie auch, was sich jetzt für Bewerber:innen ändert.

Vor drei Jahren haben Sie Ihre damalige Nachhaltigkeitsstrategie komplett überarbeitet und neu aufgesetzt. Was war der Anstoß dazu?

Dr. Petra Wicklandt: „Es fehlte ein übergeordnetes Ziel, eine systematische Verfolgung. Unser Corporate Responsibilty Department erstellte jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht, in dem wir zwar schon über viele Themen berichten haben, aber die Bereiche Healthcare, Life Science und Electronics besaßen dabei jeweils andere Schwerpunkte und Überlegungen. Die neue Strategie gibt zum einen dem Thema Nachhaltigkeit ein viel höheres Gewicht, zum anderen arbeiten alle an dem, was Priorität hat. Wir haben uns vorgenommen, nachhaltiges Wirtschaften fest zu implementieren – was für uns eins ist mit profitablem Wachstum. Wir wollen wirtschaftlich erfolgreich sein und durch unsere Geschäftstätigkeit zugleich einen positiven und messbaren Wertbeitrag für die Gesellschaft erzielen. An dieser Verantwortung werden wir als globales Wissenschafts- und Technologieunternehmen gemessen.“

„Wir glauben, dass Nachhaltigkeit nicht nur das Beste für die Welt ist, sondern auch das Beste für ein Unternehmen.“

Dr. Petra Wicklandt, Merck Group

Auf welchen Werten und Zielen fußt die neue Nachhaltigkeitsstrategie? 

„Wir haben drei Säulen beziehungsweise Ziele definiert, die wiederum mit sieben Fokusfeldern hinterlegt sind. Dabei sind die Jahre 2030 und 2040 feste Fixpunkte. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bis 2030 durch nachhaltige Wissenschaft und Technologien Fortschritt für mehr als eine Milliarde Menschen zu erreichen. Unsere Technologien und Produkte sollen zur Gesundheit und Lebensqualität beitragen. Die zweite Säule beinhaltet die nachhaltige Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette, einschließlich unserer Supply Chain. Die dritte Säule ist ganz der Reduzierung des ökologischen Fußabdruckes gewidmet. Hier wollen wir unter anderem die Abfälle reduzieren und die Qualität unserer Abwässer verbessern. Ziel ist 2040 die Klimaneutralität. Bis dahin berichten wir jährlich über den aktuellen Stand bei der Realisierung unserer Nachhaltigkeitsstrategie.“

Wie stellt sich die Implementierung der drei Ziele aktuell dar?

Da wir uns unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt haben, sind wir unterschiedlich weit mit der Implementierung unserer Ziele. Für den Bereich Electronics ist die größte Herausforderung ganz klar die Reduzierung der Treibhausgase. Im Vergleich zu Healthcare und Life Science weist dieser Bereich den meisten CO2-Ausstoß aus. Bei Healthcare setzen wir den Fokus auf das Thema Social Responsibility, was etwa den Zugang zu Arzneimitteln für vulnerable Patientengruppen in Ländern beinhaltet, in denen der Zugang schwieriger ist, zu innovativen Arzneimitteln, aber auch zu klassischen Produkten wie beispielsweise Schilddrüsenhormonen. Bei Life Science haben wir es mit mehr als 300.000 Produkten zu tun, die beispielsweise in der Arzneimittelforschung verwendet werden. Hier geht es darum, dass wir uns jedes einzelne Produkt anschauen und überlegen, wie wir es nachhaltiger gestalten können.“

Was macht einen solchen umfassenden strategischen Weg im Unternehmen möglich?

„Das stimmt. Bei der nachhaltigen Wertschöpfungskette, die wir verfolgen, haben wir unsere Lieferanten und Kunden im Blick. Wir messen beispielsweise neben unseren Treibhausgasen auch die indirekten Emissionen, die unsere Lieferanten produzieren, wenn sie für uns Produkte herstellen. Wir haben dahingehend schon die Hälfte unserer Lieferanten mit einem Sustainability Assessment versehen. Die Zusammenarbeit mit Lieferanten und Kunden bringt darüber hinaus Innovationen voran, was wir als einen wichtigen Schlüssel des Erfolgs der Nachhaltigkeitsstrategie sehen. So sind wir im Bereich Electronics eine Kollaboration mit dem US-amerikanischen Halbleiterhersteller Intel eingegangen, mit dem Ziel nachhaltigere Materialien für die Chipherstellung zu entwickeln.“

Merck stellt sein Wissen und seine Herstellungskompetenz Unternehmen und akademischen Institutionen zur Verfügung, die an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch (Clean Meat) arbeiten. Ist das zellbasierte Fleisch das Essen der Zukunft?

„Als einer der führenden Lieferanten der Biopharmaindustrie verfügt Merck über eine hohe Expertise in dieser jungen Technologie. Unser Wissen bringen wir in Partnerschaften ein, unter anderem kooperieren wir mit Startups, die auf dem Gebiet Clean Meat forschen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in der Zukunft keine Tiere mehr töten werden, um Fleisch zu essen. Doch es geht nicht nur um Tierethik. Mit Clean Meat könnte weltweit die Rinderhaltung entfallen und damit die Treibhausgasemissionen gesenkt werden.“

Haben wir 2040 eigene kleine Bioreaktoren für die Herstellung von Clean Meat in der Küche?

„2040 wird Clean Meat auf jeden Fall einen relevanten Marktanteil besitzen. Bis dahin ist es eine Frage des Preises, inwieweit es sich durchsetzt. Heute ist kultiviertes Fleisch noch um ein Vielfaches teurer als konventionelles Fleisch. Geräte für Zuhause sehe ich nicht, denn der Herstellungsprozess aus echten tierischen Zellen ist hochkomplex und erfordert viel Know-how. Das funktioniert nur in industriellen Produktionsstätten. Die Zukunftsvision ist, dass Clean Meat-Produkte wie Rind, Geflügel, Schwein und auch Fisch im großen Maßstab kommerziell produziert werden. Dann wird auch der Preis günstiger.“ 

Keine Nachhaltigkeit ohne Tierschutz. In welcher Verantwortung sieht sich Merck hier?

„Merck ist bestrebt, Tierversuche zu vermeiden und alternative Testmethoden verstärkt auf den Weg zu bringen. Damit fördern wir das international anerkannte 3R-Prinzip für Tierversuche. Dieses sieht eine Reduzierung (Reduction) der erforderlichen Anzahl an Tieren, eine Verbesserung (Refinement) der Durchführung von Tierstudien sowie den Ersatz (Replacement) von Tierversuchen durch andere Methoden vor. Bei Merck haben wir ein viertes R für Verantwortung (Responsibility) hinzugefügt, denn wir fühlen uns für die Versuchstiere verantwortlich.“

„Auch Künstliche Intelligenz unterstützt uns zunehmend, Tierversuche zu ersetzen.“

Dr. Petra Wicklandt, Merck Group

Wie sieht diese Reduzierung konkret aus?

„Unsere Forscher haben beispielsweise eine neue Methode für Chargen-Tests entwickelt. Einige Qualitätstests, um Chargen von biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln freizugeben, wurden bisher mit Tieren durchgeführt. Dabei kamen mehr Tiere zum Einsatz als in der Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln. Jetzt haben wir einen Prozess etabliert, mit dem man in Zukunft keine Labortiere mehr für die Chargen-Tests einsetzen muss. Auch Künstliche Intelligenz unterstützt uns zunehmend, Tierversuche zu ersetzen. All das wird dazu führen, dass irgendwann überhaupt keine Tiere mehr zum Einsatz kommen.“

Wie überprüft Merck beim Tierschutz seine Partner und Lieferanten?

„Merck gehört zu den Unternehmen, die die Marseiller Erklärung zur weltweiten Einführung hoher Standards bei der internen und externen Tierhaltung und -nutzung für wissenschaftliche Zwecke durch die Pharmaindustrie unterzeichnet haben. Diese erste gemeinsame Erklärung der Pharmaindustrie erfordert die Einhaltung hoher und einheitlicher Standards im Hinblick auf Tierschutz und Versuchstierkunde, und zwar unabhängig davon, wo sie ausgeführt wird. Auch bei den externen Tierversuchen akzeptiert Merck nur die höchsten Standards, und diese sind teilweise strenger als die der jeweiligen Gesetzgeber. Ein Beispiel: In den USA sind die Mindestgrößen von Tierkäfigen viel kleiner als in Deutschland und Europa. Daher wollen wir auch bei unseren dortigen Partnern und Lieferanten nicht auf die größeren Käfige, die unseren Standards entsprechen, verzichten.“ 

Fragen Patient:innen nach nachhaltig produzierten Arzneimitteln?

„Dort, wo Arzneimittel über Leben oder Tod entscheiden, in der Regel nicht. In der Onkologie sind andere Prioritäten relevant. Und auf Beipackzetteln gibt es keine Infos zur Nachhaltigkeit. Wir stellen aber fest, dass Institutionen wie beispielsweise der NHS (National Health Service) in Großbritannien sich durchaus für Nachhaltigkeit interessieren. Insbesondere der sogenannte Product Carbon Footprint, also die Emissionen, die bei der Herstellung eines Arzneimittels anfallen, sind hier von Interesse.“

Wie motiviert Merck seine Mitarbeiter:innen nachhaltig zu handeln?

„Mit unserer neuen Nachhaltigkeitsstrategie sind wir offene Türen eingerannt, was erstaunlich war. Sie kam sehr gut an. Wir regen unsere Mitarbeiter:innen dazu an, nachhaltig zu denken – diese Motivation ist zentral. Unsere großen Nachhaltigkeitsziele haben wir in Schulungen und mit viel Aufwand vermittelt, und das ist bei unseren mehr als 64.000 Mitarbeiter:innen weltweit eine große und dennoch sehr wichtige Aufgabe. Bei den geschäftsspezifischen Zielen regen wir bei den Mitarbeiter:innen eigene Überlegungen an. Selbst die Patentabteilung leistet bei uns einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Dort einigte man sich auf jährliche KPIs (Key Performance Indikatoren), die messen, wie viele Patente einen Nachhaltigkeitsanteil besitzen.“

Sind mit der Nachhaltigkeitsstrategie finanzielle Anreize für die Belegschaft verbunden?

„Die Fortschritte bei der Erreichung unserer drei Nachhaltigkeitsziele sind für Geschäftsleitung und das obere Management mit einer variablen Vergütung verknüpft. Es gibt so genannte Long Time Incentives, die über drei Jahre laufen und wo sich die Ausschüttung nach der Zielerreichung orientiert. Die Short Time Incentives beinhalten einen jährlichen Bonus, bei dem ebenfalls Nachhaltigkeitskriterien hinterlegt sind.“

Wir würden Sie Ihr Credo formulieren?

„Wir glauben, dass Nachhaltigkeit nicht nur das Beste für die Welt ist, sondern auch das Beste für ein Unternehmen, wenn man langfristig denkt, plant und erfolgreich sein will. Wer angesichts steigender Kosten bei der Implementierung von Nachhaltigkeit zögert, wird teuer dafür bezahlen, wenn beispielsweise absehbar der CO2-Preis steigt und Abgaben für immer mehr Bereiche verpflichtend werden.“

„Bis 2030 planen wir 50 Prozent weibliche Führungskräfte zu beschäftigen.“

Dr. Petra Wicklandt, Merck Group

Wie gestaltet Merck sein Talentmanagement?

„Auch bei den Themen Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion verfolgen wir sehr ehrgeizige Ziele. Bis 2030 planen wir 50 Prozent weibliche Führungskräfte zu beschäftigen – aktuell sind es 38 Prozent. Im Bereich Healthcare sind wir schon heute recht nah am Ziel. Im Bereich Electronics hoffen wir auf mehr Universitätsabsolventinnen in der Zukunft. Merck war schon immer von Diversität geprägt – wir sind in 66 Ländern aktiv und beschäftigen rund 140 Nationalitäten.

Uns ist bewusst, dass wir nur dann weiter erfolgreich bleiben, wenn wir ein Umfeld schaffen, das Chancengleichheit und Inklusion fördert. Über das Genderziel hinaus, haben wir uns vorgenommen, Menschen für uns zu gewinnen, die nicht nur aus Europa oder den USA kommen. Bis 2030 wollen wir daher 30 Prozent asiatische und lateinamerikanische Führungskräfte beschäftigen. Wir haben Kunden in der ganzen Welt und wollen diese Realität auch in unseren Führungsstrukturen abbilden. Darüber hinaus sollen künftig unsere Führungskräfte in den USA zu 30 Prozent aus ethnischen Minderheiten stammen – sich selbst bei seinem Arbeitgeber einer ethnischen Gruppe zuzuordnen, wird in den USA anders als in Deutschland generell als normal angesehen und daher auch statistisch erfasst.“

Verändert sich mit der Nachhaltigkeitsstrategie auch der Pool an Mitarbeiter:innen?

„Grundsätzlich haben wir schon immer Wert gelegt auf eine gute Mischung aus langjährigen Mitarbeiter:innen mit Erfahrung im Unternehmen und Quereinsteiger:innen. Das ist normal und wichtig. Mit einer Vielzahl von Entwicklungs- und Förderprogrammen geben wir Talenten in den verschiedenen Geschäftsbereichen die passenden Werkzeuge an die Hand, damit sie ihr Potential voll und ganz ausschöpfen können. Wer zu uns kommt, teilt unsere Leidenschaft und die Vision, das Leben von Millionen Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern. Mit der neuen Nachhaltigkeitsstrategie entstanden aber auch in enger Abstimmung mit unserer HR-Abteilung neue Kriterien für die Bewerberinterviews, das heißt, bereits im Jobinterview fragen wir nach der persönlichen Einstellung zur Nachhaltigkeit. Bewerber:innen müssen zu uns passen, und Nachhaltigkeit ist hier ein wesentlicher Bestandteil des Auswahlprozesses und unseres Handelns.“

Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Wicklandt!

Über Merck:

Merck ist ein global führendes Wissenschafts- und Technologieunternehmen in den Bereichen Healthcare, Life Science und Electronics. In Deutschland beschäftigt Merck über 12.000 Mitarbeiter:innen, weltweit sind es mehr als 64.000. Entwickelt, produziert und vermarktet werden hochwertige Medikamente und innovative Produkte für die Biotech- und Pharmaindustrie sowie präzise Technologien für die akademische Forschung. 2022 erwirtschaftete Merck in 66 Ländern einen Umsatz von 22,2 Milliarden Euro. Die Gründerfamilie – in 13. Generation seit 1668 – ist bis heute Mehrheitseigentümerin des börsennotierten Konzerns.

Dr. Petra Wicklandt leitet den Bereich Corporate Sustainability, Quality and Trade Compliance der Merck Gruppe. Sie ist für Nachhaltigkeit und die regulatorische Compliance auf der Corporate Ebene zuständig. Davor war sie im Unternehmen Leiterin von Corporate Affairs mit den Bereichen Nachhaltigkeit, Bioethik, Digitale Ethik, Politik und Globale Gesundheit. Sie besitzt umfangreiche Berufserfahrung in den Gebieten chemische und pharmazeutische Entwicklung sowie in der pharmazeutischen Produktion. Die promovierte Pharmazeutin ist seit 1994 für Merck tätig.

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