Im Interview mit Dr. med. Markus Neumann von der HAGER Life Sciences Practice erläutert Eric De Kesel, beim schwedischen Medizinprodukte-Hersteller Mölnlycke für Nachhaltigkeit zuständig, wie Einwegprodukte dennoch eine gute Öko-Bilanz erzeugen können. Er sagt: “Ethisches Verhalten zieht ethisches Verhalten an”. Doch nicht nur diese Erfolgsformel ist vorbildlich.
Weltmarktführer Mölnlycke Health Care ist auf dem Weg zum Zero-Waste-Unternehmen und reduziert den ökologischen Fußabdruck seiner Produkte und Prozesse kontinuierlich. Auf welchen Überlegungen und Regularien basiert Mölnlycke´s nachhaltige Zukunft?
ERIC DE KESEL: „Unser Ziel ist es, die Gesundheitsversorgung weltweit zu verbessern. Und Nachhaltigkeit stellt dabei eine strategische Priorität dar. Wir haben erkannt, wie wichtig es ist, unsere CO2-Emissionen entlang unserer gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Wir sind dabei, ein nachhaltiges Ökosystem für die Produktion der von uns angebotenen Gesundheitslösungen aufzubauen und einschließlich der Minimierung von Produktabfällen und einer verbesserten Effizienz bei der Verwendung von Rohstoffen. Bis 2030 werden 95 Prozent unserer Verpackungen recycelbar sein. Mehr als 80 Prozent aller Verpackungen werden aus recyceltem (PCR) und/oder erneuerbarem Material bestehen.
Unsere Nachhaltigkeitsziele basieren auf den einschlägigen internationalen Konventionen, einschließlich der Ziele des Pariser Klimaabkommens der Vereinten Nationen. Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind grundlegend für alles, was wir tun. Die Kennzahlen gemäß den Standards der Global Reporting Initiative (GRI) und den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen sind für uns maßgebend. Bis spätestens 2050 wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette Netto-Null-Emissionen erreichen und den Materialverbrauch sowohl reduzieren als auch von unserem Wachstum entkoppeln. Mit ‚WeCare‘ haben wir einen mittel- und langfristigen Plan (‚Roadmap‘) entwickelt, um gemeinsame Werthaltigkeit für alle unsere Stakeholder zu schaffen. Wir sehen Nachhaltigkeit als Motor für Wachstum, Innovation und Produktivität sowie als einen wesentlichen Teil unseres Wertversprechens an unsere Mitarbeiter:innen.“
Wie steuert „WeCare“ den Weg zur nachhaltigen Transformation?
ERIC DE KESEL: „Wir haben drei Säulen für die ‚WeCare Roadmap‘ definiert: ‘Grünes Denken‘ (Green mindset), ‚Verantwortungsvolle Beziehungen‘ (Responsible relationships) und ‚Ethisches Handeln‘ (Ethical business). Diese sind nach der von uns durchgeführten Relevanzanalyse die wichtigsten Themen, die für Mölnlycke und seine Stakeholder Risiken und Chancen darstellen. Als wir uns voll und ganz auf nachhaltiges Denken und Handeln fokussierten, entschieden wir uns auch für eine integrative Denkweise. Denn Integration, also die Festigung aller drei Säulen in allen Funktionen und Geschäftsbereichen des Unternehmens, ist unserer Erfahrung nach der Schlüssel zu Innovation und hoher Effektivität. Die enge Verzahnung der Nachhaltigkeitsarbeit mit allen Geschäftsbereichen ermöglicht es uns, Herausforderungen frühzeitig zu erkennen. Auch Ausmaße und die Bedeutung dieser Herausforderung zu messen und anschließend darauf zu reagieren. Für Mölnlycke ist es wichtig, den eigenen Nachhaltigkeitsansatz ständig zu messen und zu verbessern.“
„Das Ziel ist es, Mölnlycke zu einem weltweit führenden Unternehmen im Bereich der nachhaltigen Gesundheitsversorgung zu machen.“
Eric De Kesel, COO & EVP Nachhaltigkeit, Mölnlycke Health Care AB
Mölnlycke stellt medizinische Einwegprodukte her – lässt sich das mit Nachhaltigkeit und Zero-Waste vereinbaren?
ERIC DE KESEL: „Mölnlycke geht bei der Sicherheit und Qualität seiner Produkte keine Kompromisse ein, unser Versprechen ist es, ein Anbieter aus dem Premiumsegment zu sein. Gleichzeitig sind wir bestrebt, unseren Kunden Lösungen mit einem möglichst geringen ökologischen Fußabdruck zu bieten. Das richtige Gleichgewicht hierbei zu finden, ist nicht immer einfach. Die Lebenszyklusanalyse (LCA) ist unser bedeutsamster Ansatz für Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung. Die Bewertung hilft uns, sicherzustellen, dass der umsichtige Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Umwelt die Grundlage für Mölnlycke´s nachhaltiges Unternehmenswachstum bildet, und unterstützt Mölnlycke´s Engagement, den wachsenden Bedarf unserer Kunden an nachhaltigen Produkten zu erfüllen und gleichzeitig die Patientensicherheit zu gewährleisten. Wiederverwendbare Produkte sind aufgrund des hohen Ressourcenverbrauchs nicht immer die beste Option und sollten von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette untersucht werden.
Bei Mölnlycke arbeiten wir schon seit geraumer Zeit daran, die Verwendung fossiler Materialien bei unseren Produkten schrittweise einzustellen. Ein Beispiel sind unsere ISCC-zertifizierten OP-Abdeckungen, die mit biobasierten Rohstoffen hergestellt werden und so dazu beitragen, die CO2-Emissionen im Vergleich zu ähnlichen Produkten mit derselben Funktion effektiv zu reduzieren. Darin sind wir übrigens ein Vorreiter. Die ISCC-Zertifizierung gewährleistet auch die vollständige Rückverfolgbarkeit der Materialien. Ein weiteres Beispiel ist ein postoperativer Wundverband, der bis zu sieben Tage auf Operationswunden verbleiben kann. Diese deutliche Reduzierung der Verbandwechsel im Vergleich zu herkömmlichen Verbänden trägt zu einer Senkung des Materialverbrauchs sowie der Verbandskosten bei und hilft zudem, das Risiko von Wundinfektionen zu verringern.“
Globale Nullbilanz ist Ihr Ziel. Wie weit ist Mölnlycke mit erneuerbaren Energien im Sinne eines nachhaltigen Wachstums?
ERIC DE KESEL: „Wir planen, bis Ende 2024 an allen unseren Standorten weltweit zu 100 Prozent Strom aus fossilfreien Quellen zu beziehen. Bereits heute haben wir einen kumulierten Anteil von bis zu 57 Prozent fossilfreiem Strom an unseren Produktionsstandorten. Ein Beispiel: Seit Anfang 2020 ist der Strom in unserem Werk in Finnland zu 100 Prozent kohlenstofffrei. Die Energie, die dort die Produktionsanlagen, die Beleuchtung, die Kühlung und die Abfallsysteme versorgt, stammt aus einer Kombination von Wind-, Solar- und Wasserkraft. Wir arbeiten mit ENGIE Impact, der Nachhaltigkeitsberatungsabteilung des weltweit führenden kohlenstoffarmen Energie- und Dienstleistungsunternehmens, zusammen, um unser globales Netto-Null-Ziel – von der Strategie bis zur Umsetzung – zu erreichen.“
Zu jedem ethischen Verhalten gehört die Bereitschaft zu helfen. Wie lebt Mölnlycke diesen Kodex?
ERIC DE KESEL: „Wir haben uns zu einem sozial verantwortlichen Handeln verpflichtet, von dem unsere Kunden, Patienten und die Gesellschaft langfristig profitieren. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und wollen einen nachhaltigen positiven Einfluss ausüben. Wir unterstützen medizinische Wohltätigkeitsorganisationen, die glaubwürdige und messbare Ergebnisse liefern können und mit unseren ethischen Richtlinien übereinstimmen. Mit ‚Operation Smile‘ unterstützen wir eine globale, engagierte Wohltätigkeitsorganisation, die kostenlose und sichere Operationen für Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten ermöglicht. Neben Sachspenden unterstützen wir ‘Operation Smile’ auch mit freiwilligen Mitarbeiter:innen und schulen medizinisches Fachpersonal in der Infektionsprävention.
Im Herbst 2023 wollen wir gemeinsam mit ‘Operation Smile’ in der philippinischen Stadt Cebu ein Kompetenzzentrum für Cleft-Behandlungen eröffnen. Darüber hinaus arbeiten wir mit ‘Debra International’ zusammen – einem Netzwerk, das sich für die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit der seltenen genetischen Hautkrankheit Epidermolysis bullosa (EB), auch bekannt als „Schmetterlingskrankheit“, einsetzt. Die Wundpflaster, die wir speziell für diese Krankheit entwickelt haben, gelten weltweit als Goldstandard in der Behandlung.“
Hätten Sie ein „Tool-Kit” nach dem Vorbild von Mölnlycke, das Unternehmen bei der nachhaltigen Umgestaltung wichtiger Geschäftsbereiche über die gesetzlichen Anforderungen hinaus hilfreich ist?
ERIC DE KESEL: „Es wäre wunderbar, wenn es einen solchen festen ‘Bausatz’ gäbe. Doch jeder Weg der Transformation gestaltet sich anders, je nach Unternehmen und den Regularien des Landes, in dem es ansässig ist. ESG, dessen Komponenten – Environmental, Social, Governance – noch in der Entwicklung sind, veranschaulicht, wie breit das Thema Nachhaltigkeit angelegt sein sollte. Mölnlycke ist sich seiner Verantwortung bewusst – das ist ein guter Ausgangspunkt, um die Reise zu beginnen. Wir erkennen die zentrale Rolle der sozialen Verantwortung an und binden unsere Mitarbeiter:innen gezielt ein. Anstatt ein starres ‘Tool Kit’ anzuwenden, sollten Unternehmen aktiv werden und mutig geeignete Maßnahmen ergreifen. Selbst wenn man scheitert, können die Lehren daraus genutzt werden, um den eigenen eingeschlagenen ESG-Pfad zu korrigieren.“
Wie motiviert Mölnlycke seine Mitarbeiter:innen zu nachhaltigem Handeln?
ERIC DE KESEL: „In unserem Unternehmen sind die Mitarbeiter:innen wirklich sehr motiviert, aus eigenem Antrieb nachhaltig zu arbeiten. Wir legen großen Wert darauf, einen erstklassigen Arbeitsplatz zu schaffen, bei dem ethisches Verhalten von entscheidender Bedeutung ist. Dabei fördern wir aktiv das Bewusstsein für Integrität und ermutigen unsere Mitarbeiter:innen, ihre Meinung frei zu äußern. Denn wir sind fest davon überzeugt, dass die Förderung von Vielfalt nicht nur Toleranz für individuelle Unterschiede lehrt, sondern auch dazu beiträgt, innovatives Denken zu fördern. Um dies zu unterstützen, bieten wir unseren Mitarbeiter:innen eine umfassende Unterstützung, darunter regelmäßige Treffen, Lern- und Führungsprogramme sowie Schulungen. Insgesamt entsteht so ein Schneeballeffekt, bei dem ethisches Verhalten noch mehr ethisches Verhalten anzieht.“
“Ethisches Verhalten zieht ethisches Verhalten an.“
Eric De Kesel, COO & EVP Nachhaltigkeit, Mölnlycke Health Care AB
Gilt der nachhaltige Schritt voraus auch für Partner und Lieferanten?
ERIC DE KESEL: „Absolut. Mölnlycke erwartet von seinen Partnern, dass sie ebenso verantwortungsvoll und ethisch handeln. Wir fördern und fordern Werte unserer Unternehmenskultur wie Fairness und Transparenz bei unseren Lieferanten ein und bitten sie, dies auch bei ihren eigenen Partnern und Lieferanten zu fördern. Der Verhaltenskodex für Lieferanten des Unternehmens soll eine verantwortungsvolle Geschäftstätigkeit und die Achtung der Menschenrechte in der Lieferkette gewährleisten. Die Einhaltung dieser Grundsätze ist ein wichtiger Faktor bei der Auswahl von Lieferanten und Geschäftspartnern. Werden Bedenken geäußert, arbeiten wir mit dem Partner zusammen, um diese Probleme zu untersuchen und, falls erforderlich, die Entwicklung höherer Standards zu fördern.
Wenn der Partner sein Verhalten nicht ändert, wird Mölnlycke, wann immer möglich, von der Zusammenarbeit mit ihm Abstand nehmen. Mölnlycke überwacht kontinuierlich seine Bemühungen, die eigenen Standards sowie die Bedürfnisse und Erwartungen seiner Kunden und Stakeholder zu erfüllen. Jährlich berichtet Mölnlycke über seine Fortschritte an den UN Global Compact. Die gesamte Berichterstattung, einschließlich der Offenlegung von Informationen über Menschenrechte, vernetzte Gemeinschaften, Arbeitsbedingungen, Diskriminierung und Belästigung in unseren Betrieben. Des Weiteren moderne Sklaverei auf Unternehmensebene, erfolgt in Übereinstimmung mit den lokalen Anforderungen an die Berichterstattung über nicht-finanzielle Informationen.“
Wie organisiert Mölnlycke sein Talentmanagement, und stellen Sie einen Fachkräftemangel wie in Deutschland fest?
ERIC DE KESEL: „Der Fachkräftemangel ist bei Mölnlycke nicht so stark zu spüren wie andernorts. Gut 70 Prozent unserer Führungskräfte haben sich in unserem Unternehmen entwickelt, sind also Insider, was wir sehr fördern. Mölnlycke verdankt seine Attraktivität dem Zweck, für den wir stehen. Unser Produktportfolio und unsere Forschung bringen einen positiven Nutzen, indem sie das Leben vieler Menschen verbessern. Diese Sinnhaftigkeit verschafft uns einen gewissen Ruf, der durch unser Nachhaltigkeitsprofil noch verstärkt wird, was für bestehende und potenzielle Mitarbeiter:innen sehr attraktiv ist. Auf diese Weise minimieren wir die Fluktuation von Talenten, obwohl wir keine gezielten Programme zur Anwerbung von Talenten haben.“
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr De Kesel!
Über Mölnlycke:
Mölnlycke ist ein weltweit führendes Unternehmen für medizinische Produkte und Lösungen im Gesundheitsssektor. Das Kerngeschäft liegt in den vier Geschäftsbereichen Wundversorgung, Operationssaal-Lösungen (ORS), Einmalhandschuhe und Antiseptika.
Mölnlycke beschäftigt rund 8.700 Mitarbeiter:innen und ist in mehr als 100 Ländern weltweit tätig. Der Hauptsitz befindet sich in Göteborg, Schweden. Mölnlycke ist im Besitz von Patricia Industries, einem Teil der Investmentgesellschaft und Industrieholding Investor AB (1916 von der Familie Wallenberg gegründet), www.molnlycke.com
Eric De Kesel:
(Jg. 1965) ist seit 2002 in leitenden Positionen bei Mölnlycke Health Care tätig. Als Chief Operating Officer (COO) und Executive Vice President (EVP) Sustainability ist der gebürtige Belgier für die Entwicklung und Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie bei Mölnlycke Health Care verantwortlich
Quellen:
1. Beele H. et al. A prospective randomized controlled clinical investigation comparing two post-operative wound dressings used after elective hip and knee replacement; Mepilex® Border Post-Op versus Aquacel® Surgical. International Journal of Orthopaedic and Trauma Nursing, 2020.
2. Zarghooni, K. et al. Is the use of modern versus conventional wound dressings warranted after primary knee and hip arthroplasty? Acta Orthopaedica Belgica, 2015.
3. Bredow J. et al. Evaluation of Absorbent Versus Conventional Wound Dressing. A Randomized Controlled Study in Orthopedic Surgery. Deutsches Ärzteblatt International, 2018.