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Was bleibt nach Corona? 5 Themen und Thesen

14/07/2020

Krisen sind bekanntlich Transformations-Beschleuniger. Was sich nachhaltig verändern wird und warum das für viele sogar eine gute Nachricht ist. Hier eine Zwischenbilanz.

HAGER Artikel Was bleibt nach Corona

1. Gekommen, um zu bleiben: Homeoffic

Für viele Firmen war das Arbeiten aus dem Homeoffice bereits vor Corona fest etabliert im Daily Business. Andere Unternehmen starteten bei Null und haben mit Hochdruck an Schnittstellenlösungen gearbeitet. Für alle aber war die überraschende Erkenntnis: Es geht. Und zwar besser, als gedacht. Die amerikanischen Tech-Giganten haben komplett auf „Remote“ umgestellt. Facebook schickt seine Leute bis Ende des Jahres ins Homeoffice, Twitter sogar für immer, während Google ein Rotationsprinzip für seine Teams einführt. Martin Krill, geschäftsführender Gesellschafter bei HAGER Executive Consulting, unterstreicht:

Ich kann alle Unternehmen bzw. Führungskräfte nur ermutigen, ihre Mitarbeiter auch weiterhin beim Thema Homeoffice zu unterstützen. Natürlich gehört auch Vertrauen seitens des Arbeitgebers dazu. Aber ganz ehrlich, ob mein Mitarbeiter pünktlich um 8 Uhr am Schreibtisch sitzt oder seine Arbeit erst später beginnt, weil er vorher Sport macht, wenn er  danach motiviert und erfolgreich ist, so ist das ein Win-Win. Letztendlich zählen die Ergebnisse – Corona hat es unter Beweis gestellt, Homeoffice kann für die Beteiligten echte Vorteile bringen, wenn alle die Spielregeln einhalten.“

Die Vorteile belegen inzwischen auch wissenschaftliche Studien. So gaben 45 Prozent der Beschäftigten laut Organisationsforschern der Uni Konstanz an, zu Hause sehr produktiv zu arbeiten. Nicholas Bloom, Professor an der Universität Stanford, hat herausgefunden, dass die Performance im Home-Office tatsächlich um 13 Prozent höher liegt. Er sieht darin eine „zukunftsweisende Technologie“ („A Future-Looking Technology“) mit enormem Potential. Die Mitarbeiter könnten sich nicht nur besser konzentrieren und seien weniger abgelenkt. Die Tatsache, dass sie selbstbestimmter agieren und sich ihre Zeit autonomer einteilen können, hat die Kündigungsquote um 50 Prozent reduziert.

2. B2B-Events werden virtueller

Für eine Konferenz nach Kapstadt fliegen? Für eine Tagung nach Tokio? Eines ist sicher: Corona markiert das Ende der B2B-Welt, wie wir sie kennen. Wenn man genauer hinsieht, hat sich diese Zäsur bereits vorher abgezeichnet, die Pandemie hat diese Entwicklungen lediglich beschleunigt. Christian Muche, Co-Founder und kreativer Kopf hinter der DMEXCO von 2008 bis 2018, prognostiziert: „Natürlich wird es noch analoge Events geben, die werden nicht über Nacht verschwinden. Aber es gibt einen Shift hin zu digitalen Formaten, mit ganz neuen Möglichkeiten zu interagieren und Informationen gezielt auszutauschen.“ Gleichzeitig erschließen digitale oder hybride Events viel größere Reichweiten. Auch das ist im besten Sinne eine Demokratisierung, ein Abbau von Barrieren, ein Teilen von Wissen und Erfahrung. Vieles, was früher nur einem exklusiven Kreis zugänglich war, kann nun abgerufen werden. Überall, zu jeder Zeit. Die Londoner Fashion Week kürzlich ist dafür ein gutes Beispiel. Das erste Mal in ihrer Geschichte wurden die Schauen komplett gestreamt, zugänglich für alle. Byebye, Front Row. Martin Krill sagt: „Aktuell in Zeiten von Corona sind virtuelle Messestände eine gelungene Ausweichmöglichkeit. Aber wenn man wieder von dem ‚Normalzustand‘ ausgeht, kann diese virtuelle Variante eine sehr wertvolle Ergänzung für einen ausgewogenen Marketing-Mix sein. Man darf nicht vergessen, dass man mit einer online Einladung eine größere Reichweite potenzieller Teilnehmer erzielen kann. Klar verschwindet der direkte persönliche Kontakt, der Messen ja auch interessant macht. Daher ist es wichtig, hier nicht nur auf die persönliche Chemie zu setzen – die ja dank virtueller Tools nicht ganz verloren geht – sondern verstärkt auf die Inhalte.“

Was wurde nicht alles schon geschrieben zu Leadership, zu Agile und New Work. Wie essentiell diese Transformation ist, hat sich jetzt gezeigt. Wann waren Vertrauen in die Mitarbeiter, das buchstäbliche Loslassen, eine härte und belastbare Währung als in Corona-Zeiten? Martin Krill ist überzeugt: „Corona hat für viele Unternehmen nicht nur bewiesen, dass Homeoffice funktioniert, sondern auch vielfach die Führungsqualitäten der Manager auf die Probe gestellt. Remote Leadership ist nicht mal eben so zu bewältigen. Vertrauen und Loslassen sind die Schlagworte, aber es gibt auch viele Mitarbeiter, die allein gelassen orientierungslos sind und ihre Führungskraft benötigen, um eine Richtung zu haben. Andere wiederum laufen remote auf Hochtouren, weil sie die Vertrauenslorbeeren genießen, ihren Weg kennen und mit neuen Impulsen beste Ergebnisse erzielen möchten. Hier ist eine ausgewogene Balance sowie ein Gespür für die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter vonnöten.“

Interessant in diesem Zusammenhang ist das beidhändige Führungsprinzip, „Ambidextrie“. Ursprünglich aus der Medizin stammend war damit die Fähigkeit gemeint, die linke und rechte Hand gleichwertig einzusetzen. Im Management beschreibt es ein synchrones Prinzip: Das Kerngeschäft ausbauen und gleichzeitig weiterentwickeln, Tagesgeschäft auf der einen Seite und Innovationsgeschwindigkeit auf der anderen. Julia Duwe hat dazu ein einschlägiges Sachbuch geschrieben: „Beidhändige Führung“. Dieser Trend wird sich über die nächsten Jahre noch verstärken. Und noch eine andere Komponente wird wichtiger werden. Glen Llopis spricht in einem-Forbes Artikel („Leadership Will Change Forever After the Coronavirus Pandemic“) über das Ende standardisierter Arbeitsabläufe hin zu individuellen Lösungen. Diese seien zwar chaotischer, allein durch die Tatsache, dass man dezentral, manchmal auch über Zeitzonen hinweg voneinander getrennt ist, haben diese Modelle dennoch den Vorteil, dass sie wesentlich resilienter sind. Er sieht ein Zeitalter der Individualität anbrechen („The age of personalization“)

4. Zwei Rollen, ein Leben: Das Private wird öffentlicher

Wer erinnert sich noch an den Reporter Robert E Kelly, bei dem mitten in ein Live-Interview mit „BBC World News“ die Kinder ins Arbeitszimmer platzten und von der Mutter hektisch wieder rausgeschoben wurden. Das ist gerade mal zwei Jahre her. Das Video ging damals viral. Heute hätte diese Sequenz keinen Nachrichtenwert mehr. In den letzten Monaten haben wir so viel Privates gesehen und erlebt wie in allen Jahren davor nicht. Wir kennen die Kinder, Hunde und Katzen der Kollegen, wir haben ihre Bücherwände studiert und wissen, dass CEOs von DAX-Konzernen zu Hause Hoodies tragen. Martin Krill erklärt: „Corona hat uns alle menschlicher werden lassen. Der Blick ins ‚Homeoffice‘ war bei einigen meiner Kontakte wirklich sehr interessant. Ich muss aber auch sagen, dass es genau diese Eindrücke waren, die den persönlichen Austausch ein Stück weit ersetzt haben. In einem Face-to-Face Meeting schwingen auch persönliche Aspekte mit. Sei es im Small Talk, wenn ein Gesprächspartner auf dem Schreibtisch ein Familienbild stehen hat und man Bezug darauf nimmt. Oder Auszeichnungen für sportliche Aktivitäten die Bürowände schmücken. All das wird durch genau diese ‚privaten Attituden‘, die Teilnehmer von Videokonferenzen auspacken, quasi ersetzt.“ Und, vielleicht das Wichtigste: Wir haben alle kämpfen sehen mit Technik, verwackelte Bilder, ein scheppernder Ton sind kein Grund, zu hyperventilieren. In dieser Hinsicht hat sich eine neue Gelassenheit, ein Good Enough durchgesetzt, die vor allem den Deutschen bisher eher fremd war. Weitermachen, statt die Energie mit Perfektion zu verschwenden. 2020 ist auch die Wiederentdeckung des Pareto-Prinzips, auch als 80-20-Regel bekannt: Mit 20 Prozent des Gesamtaufwands erreicht man 80 Prozent des Ergebnisses, für die restlichen 20 Prozent muss man dagegen 80 Prozent des Aufwands einsetzen.

5. Diversity – jetzt erst recht

Der Reflex war da. Man hörte in den letzten Wochen von Unternehmen hin und wieder Sätze, die in die Richtung gingen: Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun, als uns um Diversity zu kümmern. Ganz so, als sei das ein „Sunshine Issue“. Natürlich ist das Gegenteil richtig. Die Argumente für Diversity gehen uns nicht aus, hier voranzukommen ist sogar dringender denn je. „Gemischte Teams steigern Kreativität und Innovationskraft – Skills, die für Organisationen im Moment unersetzlich sind. Deshalb brauchen wir gerade jetzt noch mehr aktives Diversity-Management“, sagt Stephan Dirschl, Pressesprecher der „Charta der Vielfalt“. Wer würde bestreiten wollen, dass wir in den nächsten Jahren noch kreativer und innovativer werden müssen? Auch Martin Krill sieht hier Handlungsbedarf: „Das kann ich nur unterstreichen. Diversity ist ein Schlüssel für die unternehmerische Digitalkompetenz. Vielfalt öffnet viele Türen. Allerdings bedarf es hier nicht nur einer aufgeschlossenen Haltung, sondern auch Taten. Jeder kann und sollte Diversity als Normalität vorleben und nicht nur darüber diskutieren.“

Studien, die Diversity als Erfolgsfaktor und Innovationstreiber untersucht haben, gibt es viele. Eine interessante und unterschätzte Dimension ist in diesem Zusammenhang die Frage der Gruppenintelligenz. Claudia Peus, Professorin für Forschungs- und Wissenschaftsmanagement an der TU München, hat kürzlich auf diesen Aspekt hingewiesen. Dabei hat sie eine Arbeit zitiert, die in „Science“ erschien. Demnach ist ein wichtiger Prädiktor für den Erfolg einer Gruppe gute Entscheidungen zu treffen (und davon lebt ja Unternehmenserfolg im Wesentlichen), der Anteil von Frauen. Der Grund: „Frauen hören tendenziell mehr zu und gehen stärker aufeinander ein.“ Katastrophale Entscheidungen wie das „Bay Pigs Desaster“ unter Kennedy wäre demnach so nicht passiert.

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