/*START Video Autoplay mit Divi Video Module*/ /*ENDE Video Autoplay mit Divi Video Module*/

„Die Achillesferse der Logistik ist der Mensch“

27/08/2025

Trotz hoher Energiepreise und instabiler Lieferketten sieht Daniel Norpoth die größte Gefahr für die Logistikbranche an ganz anderer Stelle: „Die eigentliche Achillesferse bleibt das fehlende menschliche Potenzial.“

Der Partner bei HAGER Executive Consulting berät seit zwei Jahrzehnten Unternehmen an der Schnittstelle von Automobilindustrie, Logistik und Personalmanagement – und kennt die Spannungsfelder zwischen Kostendruck, Demografie und Digitalisierung. Im Interview erklärt er, warum Fachkräftemangel existenzbedrohend ist, wie Mittelständler im Wettbewerb mit Konzernen bestehen können und weshalb die Branche ohne Kulturwandel kaum zukunftsfähig bleibt.

Energiepreise und fragile Lieferketten beschäftigen die Logistik enorm. Warum sehen Sie dennoch den Personalmangel als das entscheidende Risiko?

Gestiegene Energiepreise und instabile Lieferketten sind für die Logistik zweifellos existenzielle Belastungen – und sie werden uns auch in den kommenden Jahren begleiten. Doch so gravierend diese Faktoren sind, sie lassen sich zumindest teilweise steuern: durch Effizienzmaßnahmen, durch Diversifizierung von Zulieferern oder durch staatliche Entlastungen. Der Personalmangel hingegen ist ein strukturelles Problem, das sich nicht konjunkturell lösen lässt. Wenn Lkw-Fahrer, Disponenten oder Fachkräfte in Lagern fehlen, stehen Prozesse still. Insofern verschärfen die Energie- und Marktkrisen zwar die Lage, doch die eigentliche Achillesferse bleibt das fehlende menschliche Potenzial.

Besonders bei Lkw-Fahrern und im Lager ist der Engpass spürbar. Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen?

Zum einen wirkt die Demografie: Ein erheblicher Teil der Belegschaft wird in den nächsten Jahren in Rente gehen, während zu wenig Nachwuchs nachkommt. Zum anderen sind die Arbeitsbedingungen herausfordernd – Schichtarbeit, hohe Belastung und lange Abwesenheiten von zu Hause. Hinzu kommt ein hartnäckiges Imageproblem: Obwohl Logistik längst Hightech, Digitalisierung und internationale Projekte bedeutet, dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch das Bild eines „harten Jobs ohne Perspektive“. Dieses Missverhältnis schreckt potenzielle Bewerber zusätzlich ab.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in diesem Kontext – Chance oder zusätzliche Hürde?

Beides. Digitalisierung kann Prozesse vereinfachen und Effizienzpotenziale heben. Gleichzeitig beobachten wir, dass Unternehmen zwar Systeme einführen, aber die Kompetenz zu deren Nutzung fehlt. Ohne gut ausgebildete Disponenten oder Supply-Chain-Experten bleibt die Software Stückwerk. Deshalb geht es weniger um „Technik statt Mensch“, sondern darum, Menschen durch gezielte Weiterbildung in die Lage zu versetzen, digitale Tools wirklich produktiv einzusetzen. Digitalisierung macht Fach- und Führungskräfte nicht überflüssig – sie macht sie noch wertvoller.

Viele mittelständische Logistikunternehmen sehen sich gegenüber großen Playern im Nachteil. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Tatsächlich haben große Konzerne oft bessere Ressourcen, um Fachkräfte durch höhere Gehälter oder globale Rekrutierungsprogramme zu gewinnen. Gerade KMUs geraten dadurch zusätzlich unter Druck. Gleichzeitig zeigen unsere Erfahrungen, dass kleinere Unternehmen andere Stärken haben: Sie können flexibler agieren, persönliche Bindungen schaffen und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Hier liegt eine Chance: Mittelständler sollten sich nicht ausschließlich im Wettbewerb mit den Großen sehen, sondern bewusst ihre Vorteile kommunizieren. Zudem können sie von Best Practices der Großen lernen – etwa beim Employer Branding oder bei der Internationalisierung von Recruiting – und diese in einer schlankeren Form adaptieren.

Sie sprechen von einem „Kulturwandel“ in der Logistik. Was genau meinen Sie damit?

Es geht darum, die Branche neu zu denken. Wer künftig Talente gewinnen und halten will, sollte nach Möglichkeit flexiblere Arbeitsmodelle schaffen und kommunizieren, attraktivere Schichtsysteme entwickeln und das Employer Branding modernisieren. Hinzu kommt eine klare Haltung zu Diversity und Weiterbildung. Junge Fachkräfte erwarten heute mehr als einen sicheren Arbeitsplatz – sie wollen Perspektiven, Entwicklung und Sinn. Das bedeutet: Führungskräfte in der Logistik müssen nicht nur operative Effizienz managen, sondern auch kulturelle Transformation gestalten.

Was können Entscheider konkret tun, um ihre Lieferketten nachhaltig zu sichern?

Zunächst gilt es, kurzfristig handlungsfähig zu bleiben: internationale Rekrutierung, Quereinsteigerprogramme und Nachwuchskampagnen sind unverzichtbar. Langfristig geht es aber um strategische Weichenstellungen: gezieltes Employer Branding, systematische Weiterbildung und eine Führungskultur, die Menschen in den Mittelpunkt stellt. Für uns ist klar: Personalthemen sind heute genauso strategisch wie Investitions- oder Standortentscheidungen. Wer das menschliche Potenzial konsequent entwickelt, sichert nicht nur sein eigenes Unternehmen, sondern trägt zur Stabilität ganzer Lieferketten bei.

Autorenvita

Daniel Norpoth ist Partner der Business Unit Automotive und HAGER Executive Consulting. Der diplomierte Betriebswirt verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in vertriebsnahen Führungspositionen und im spezialisierten Personalmanagement. Nach Stationen als Geschäftsführer eines französischstämmigen Anbieters für elektronische Prepaid-Karten sowie als nationaler Vertriebsleiter verantwortete er zusätzlich die Geschäftsführung von zwei Tochtergesellschaften während seiner Zeit bei einem OEM aus dem Volkswagen-Konzern. Im Anschluss war er über 16 Jahre für einen der führenden deutschen Personaldienstleister tätig – zuletzt als Leiter Personaldienstleistungen mit Fokus auf die Branchen Automobil, Metall, Elektro sowie Luft- und Raumfahrt.

Ein Artikel von Markus Jaklitsch

Erschienen am 26.08 im Fachmedium für Logistik www.logistik-express.com/

Weitere interessante Fachbeiträge

Tech-Talente im Umbruch: Warum CIOs jetzt handeln müssen

Tech-Talente im Umbruch: Warum CIOs jetzt handeln müssen

Ein globaler Paradigmenwechsel in den USA lässt hochqualifizierte Fachkräfte nach Europa strömen. Unternehmen und CIOs sind gefragt, diese Chance zu nutzen – mit Haltung, aktiver Integration und klarem Innovationsauftrag.