HAGER Executive Consulting: Die MaRisk-Novelle verschärft den Druck auf Marktfolge, Risikomanagement und Compliance. Gesucht werden neue Kompetenzen, kreative Profile – und Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen.

Kreditrisiken schlafen nicht – erst recht nicht, wenn alte Sicherheiten bröckeln und neue Anforderungen wie aus dem Nichts zuschlagen. Mit der jüngsten MaRisk-Novelle geraten Abläufe ins Wanken, das Risikomanagement rückt aus der zweiten Reihe nach vorn. Die Banken müssen schneller reagieren, anders denken – und vor allem neue Talente finden, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Sonst wird’s eng.
Interview mit Martin Korn, Financial Services bei HAGER Executive Consulting
Die MaRisk-Novelle schärft die Vorgaben im Risikomanagement – Stichwort: engmaschigere Ratings, detailliertere Steuerungslogik. Welche Veränderungen beobachten Sie derzeit konkret in den Banken?
Die Banken haben ein hohes Eigeninteresse daran, Ausfallrisiken gering zu halten und eine starke Marktfolge im Haus zu haben. In der Rezession wandelt sich die Marktfolge von einer Kontrollinstanz zur aktiven Risikomanagerin.
Mit der anhaltenden konjunkturellen Schwäche und der am 29. Mai 2024 veröffentlichten 8. MaRisk-Novelle rückt ein Bereich in den Fokus, der sonst eher im Hintergrund arbeitet: die Marktfolge. Die Neuerungen wirken dabei wie ein Brennglas – sie verstärken bestehende Anforderungen und formulieren klare Erwartungen, etwa an die Häufigkeit interner Ratingprozesse.
Viele Institute hatten ihre internen Ratings in den vergangenen Jahren bereits verfeinert, doch der jetzt geforderte engmaschigere Rhythmus verlangt eine neue Form der Reaktionsfähigkeit – sowohl auf organisatorischer als auch auf personeller Ebene. Besonders deutlich sehen wir das im Marktfolgebereich, im Risikocontrolling, im Meldewesen oder auch in der internen Revision – überall dort, wo Bewertungen, Prüfprozesse und regulatorische Rückkopplungen stattfinden, geraten die bisherigen Taktungen ins Wanken.
Interne Ratings gewinnen also strategisch an Bedeutung. Wie verändern sich dadurch nicht nur die Anforderungen an Systeme und Datenmodelle, sondern auch an die Menschen, die damit arbeiten?
Wir beobachten, dass der Austausch zwischen Markt und Risikomanagement inzwischen institutsübergreifend auf Augenhöhe stattfindet. Das Risikomanagement hat an Wertigkeit im Haus gewonnen – manche scheuen inzwischen sogar den Begriff „Marktfolge“, frei nach dem Motto: Wohin soll man dem Markt denn folgen?
Neben den traditionell stark ausgeprägten analytischen Fähigkeiten gewinnt deshalb kommunikative Kompetenz an Bedeutung. Wer Risiken heute plausibilisieren, bewerten und vermitteln will, muss in der Lage sein, Komplexes verständlich zu formulieren – gegenüber Fachabteilungen, Geschäftsleitung und Aufsicht. Genau nach diesem Profil suchen derzeit viele Institute: Menschen mit analytischer Stärke, hohem Datenverständnis und einem Gespür für bankfachliche Zusammenhänge.
Dabei sehen wir zunehmend auch Talente mit juristischer Ausbildung – etwa im Kontext komplexer Finanzierungen –, die in Risikorollen hineinwachsen. Warum nicht? Wenn jemand das Zusammenspiel aus Struktur, Regulierung und Sprache versteht, ist der ursprüngliche Karriereweg zweitrangig.
Ein Gedankenspiel verdeutlicht das Dilemma: Angenommen, es gibt in Frankfurt genau 100 Kreditrisikoexperten. Geht eine Person in Rente und wird von einem anderen Haus abgeworben, bleiben es trotzdem nur 99. Um langfristig starke Einheiten aufzubauen, müssen Banken daher entweder selbst Trainees ausbilden – oder Quereinsteigern eine Chance geben.
Das passiert zunehmend: Wir sehen verstärkt Kandidatinnen und Kandidaten, die ursprünglich nicht aus dem Kreditrisikomanagement kommen, aber bankinterne Prozesse oder das Kreditgeschäft gut verstehen – etwa aus der IT, der Compliance oder dem Projektmanagement. Ihr datengetriebenes Denken und ihr regulatorisches Verständnis ermöglichen oft einen schnellen Einstieg. Der demografische Wandel verschärft den Bedarf zusätzlich – denn viele Stellen müssen ersetzt werden, bevor die Babyboomer-Generation vollständig in Rente geht. Und der klassische Weg über das Schaltergeschäft steht dem Nachwuchs ohnehin kaum noch offen.
Welche Funktionen geraten durch die regulatorischen Veränderungen besonders unter Druck – und wo beobachten Sie aktuell die größte personelle Bewegung? Welche Skills sind hier gefragt?
Wir haben in den vergangenen Jahren aufgrund neuer Reportingpflichten im ESG-Bereich oder auch der Abwicklungsplanung einige Stellen besetzt, die den Banken als solches erst einmal keine neuen Umsätze schaffen, sondern auf allen Ebenen Ressourcen erfordern. Das liegt auch daran, dass die Anforderungen teilweise sehr komplex sind und auch immer erst einmal interpretiert werden müssen. So hat sich der Bedarf im Finance, im Risk-Management, aber auch sehr stark im Compliance zuletzt sehr stark erhöht.
Wenn wir mit Kunden, die Anforderungen durchgehen, dann braucht es neben der guten Fachlichkeit, einer schnellen Auffassungsgabe und einem ausgeprägtem Datenverständnis, soft Skills, wie charmantes Durchsetzungsvermögen und sehr gute kommunikative Skills. Immer wieder fällt auch das Wort „Mitdenken“.
Gerade im Soft-Skill-Bereich, sind das natürlich überall am Markt stark geforderte Faktoren. Wie können Banken trotzdem die nötige Expertise sichern – kurzfristig wie langfristig?
Kurzfristig setzen viele Häuser auf hybride Lösungen: etwa durch externe Berater, spezialisierte Dienstleister oder temporäre Projektteams. Langfristig wird aber entscheidend sein, neue Talentquellen zu erschließen – und da hilft nur ein Kulturwandel. Wir müssen aufhören, Karrieren im Risiko- oder Marktfolgebereich nur über „klassische“ Finanzlebensläufe zu denken. Wer heute etwa Datenanalyse in einem anderen Industriezweig gelernt hat, kann morgen sehr wohl ein versierter Risikomanager im Bankwesen sein – wenn die Struktur zur Einarbeitung stimmt. Auch Themen wie Work-Life-Balance, Remote-Arbeit und individuelle Weiterentwicklung spielen eine wachsende Rolle. Der demografische Wandel sorgt nicht nur für Engpässe, sondern zwingt auch zur Modernisierung: Banken, die das erkannt haben, rekrutieren deutlich erfolgreicher.
Welche Rolle spielt KI in diesem Umfeld und wie kann sie dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken?
Das ist ein sehr guter Punkt. Wir merken, dass sich Banken zunehmend mit dem Thema beschäftigen. Insbesondere bei Prüfungen im Bereich Compliance oder im Zahlungsverkehr kommt KI heute schon sehr stark zum Einsatz. Auch in Bereichen, in denen häufig ähnliche Regelwerke und sich wiederholende Aufgaben zu finden sind.
Im Corporate-Kreditrisiko-Management ist das hingegen noch nicht so ausgeprägt. Meist wird noch mit Excel gearbeitet; fortschrittlichere Fachbereiche innerhalb einer Bank nutzen Python. Wir beobachten auch, dass manche Banken KI-Modelle testweise einsetzen, die dann durch einen Release-Wechsel der Altsysteme nicht mehr funktionieren, weil veraltete Systeme darauf nicht mehr reagieren. Obwohl Banken schon immer sehr digital gearbeitet haben, beobachten wir nun genau das teilweise als Problem, da im Laufe der Zeit komplexe Altsysteme mit vielen Einzelfällen entstanden sind. Auch hier sind Menschen gefragt, die die Abhängigkeiten im Blick haben und Konsequenzen miteinkalkulieren. Uns ist ein Fall bekannt, in dem seit der Systemumstellung die KI nicht mehr genutzt werden kann.
KI kann daher immer eine Lösung sein, aber es braucht Personen, die hier mitdenken. In anderen Banken beobachten wir, dass der Fachkräftemangel durch Offshoring gelöst werden soll. Beispielsweise soll die Marktfolge dann im indischen Subkontinent oder in Südostasien angesiedelt werden. Gerade in der Marktfolge, in der Bilanzen auch nach Local GAAP, also HGB, geprüft werden, kann das auch eine gewisse Komplexität beinhalten.
Autorenvita Martin Korn
Martin Korn ist seit 2014 bei HAGER Executive Consulting tätig und Teil der von Henning Sander geleiteten Einheit „Financial Services“. Als Personalberater mit über 15 Jahren Branchenerfahrung besetzt er Fach- und Führungspositionen im Finanzumfeld – von spezialisierten Expertenrollen bis hin zum Top-Management. Zu seinen Kunden zählen Banken, Versicherungen, Beratungen und weitere Organisationen mit Schnittstellen zum Finanzsektor.
Das originale Interview finden Sie hier.