Unverbindlichkeit im Arbeitsmarkt ist ein Thema mit wachsender Relevanz, dem viele Unternehmen gegenüberstehen. Welche Führungskraft hat noch nicht sehr kurzfristig eine Kandidatenabsage zu einem Interview oder, noch ärgerlicher, zu einem Vertragsangebot erhalten?
Letzte Woche noch signalisierte der Kandidat größtes Interesse, dann ließ er ein paar Tage nichts von sich hören und heute kam die Absage per Email in einem Einzeiler. Auch „No Shows“ am ersten Arbeitstag sind heutzutage keine Seltenheit mehr. Müssen wir als Führungskräfte dieses Verhalten einfach hinnehmen oder gibt es Möglichkeiten mehr Verbindlichkeit zu realisieren?
Woher kommt dieser Trend?
Meiner Erfahrung nach gibt es zwei wesentliche Gründe für diese Entwicklung.
Seit der Corona Pandemie setzen Unternehmen sowohl intern als auch im Recruitingprozess vermehrt auf digitale Meetings. Auf den ersten Blick hat dies viele Vorteile. Der zeitliche Invest für persönliche Meetings ist wesentlich höher, da diese Termine in der Regel länger dauern und mit Anfahrtswegen verbunden sind. Digitale Meetings sind kürzer und flexibler umsetzbar. Das ist eigentlich ein Vorteil, da Geschwindigkeit im Recruitingprozess als Gewinnargument gilt.
Doch genau hier liegt die Gefahr, insbesondere dann, wenn der Recruitingprozess ausschließlich remote abgebildet wird. Ein virtuelles Meeting abzusagen fällt um ein Vielfaches leichter im Vergleich zu einem langfristig geplanten persönlichen Termin, bei dem alle Beteiligten einen deutlichen höheren Aufwand betreiben.
Der zweite wesentliche Punkt ist, dass es häufig an Bindung fehlt. Digitale Meetings bringen viele Vorteile mit sich, jedoch erschweren sie es, eine echte Bindung aufzubauen. Es ist etwas anderes, wenn man sich in Persona gegenübergestanden, die Hand geschüttelt und in die Augen geschaut hat. Echtes Vertrauen entsteht nicht zwischen Bildschirmen, es entsteht zwischen Menschen.
Was bedeutet dies für Unternehmen und wie können Führungskräfte den Unterschied machen?
Kurzum: Wir müssen wieder mehr persönliche Meetings planen. Persönlicher Kontakt stärkt Bindungen und Engagement. Durch persönliche Treffen können Unternehmen schon früh im Bewerbungsprozess eine stärkere Bindung zu Kandidaten aufbauen und ihr Interesse am Unternehmen und der Rolle maßgeblich fördern. Auch für Kandidaten bietet der face to face Kontakt viele Vorteile, da diese das Unternehmen und die Kultur aus erster Hand erleben können. Dieser Mehrwert sollte Kandidaten gegenüber klar kommuniziert werden.
Wir befinden uns immer noch in einem Kandidatenmarkt. Unternehmen müssen das Risiko erkennen und dürfen ihre Augen davor nicht verschließen. Gute Kandidaten haben die „Qual der Wahl“ an Jobmöglichkeiten. Awareness ist der erste Schritt, um dem Thema Unverbindlichkeit die Stirn zu bieten.
Eine weitere wichtige Maßnahme für Führungskräfte und HR Verantwortliche ist es, Vielfalt bei der Kandidatenauswahl zu schaffen. Man sollte nicht nur auf einen Kandidaten setzen, sondern den Dialog mit einer kleinen Zahl geeigneter Kandidaten bis zur finalen Runde führen. Der Vergleich von starken Kandidaten erhöht die Sicherheit der Entscheidung. Zudem ist, setzt man zu früh alles auf eine Karte, die Gefahr groß, dass man in der Besetzung der Position wieder bei null startet, was mit einem immensen Zeitverzug (meist mehrere Monate) verbunden ist und folglich zu hohen Kosten führt.
Schlussendlich (und der für mich ausschlaggebendste Aspekt) ist die „perfekte“ Candidate Journey. Eine nahtlose, positive Erfahrung mit dem Unternehmen ist für eine hohe Verbindlichkeit entscheidend. Unternehmen sollten sicherstellen, dass Bewerber eine reibungslose und positive Erfahrung während des gesamten Bewerbungsprozesses haben, angefangen von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zur Vertragsunterzeichnung und dem Onboarding-Prozess. Durch einen Dialog auf Augenhöhe, inhaltlich abgestimmte Interviews und einen zügigen Prozess ohne Druck können Sie als Person und als Unternehmen den Unterschied machen. Denn seien Sie sich sicher: Irgendein Unternehmen macht die Candidate Journey zu einem einzigartigen Erlebnis.
Dieser Artikel ist in Kooperation mit Stefanie Nagel, Client Managerin der Business Unit „Software“ bei HAGER Executive Consulting entstanden.