Es wird viel über Resilienz gesprochen in letzter Zeit. Und wie das so ist mit Modebegriffen, die zu Buzzwords werden: Es ist oft diffus. Starten wir deshalb mit einer Begriffsbestimmung. Was genau meint Resilienz?
Aus meiner Sicht versteht man unter Resilienz eine gesunde Widerstandskraft gegen die Unwägbarkeiten des Lebens. Ich finde Buzzwords hochinteressant. Oft beschreiben sie Prozesse oder Regeln, die schon länger bestehen. Plötzlich wird darüber gesprochen, und zack, bekommt es einen schicken Begriff verpasst. Fertig ist das Buzzword.
Vor allem in Krisen, wie wir sie gerade erleben, nehmen diese Unwägbarkeiten zu. Mit anderen Worten: Resilienz wird zu einer wichtigen Ressource. Wie bleibt man optimistisch?
Ich würde empfehlen, die Perspektive zu verändern, einen so genannten Birdview zu entwickeln und zurückzuschauen auf der Zeitachse: Was ist gut gelaufen in der Vergangenheit? Man wird feststellen, dass einem viele positive Dinge einfallen. Wichtig ist außerdem eine realistische Einschätzung der Lage. Ja, die Zeiten sind schwierig. Aber wenn man sie mit anderen herausfordernden Phasen vergleicht, dann waren die Rahmenbedingungen früher wesentlich schlechter. Etwa nach dem Krieg, da ging es darum, den Wiederaufbau zu stemmen. Ohne Mittel, ohne Infrastruktur, alles war zerstört. Es gab auch keine Sozialsysteme, die das Elend abgefedert hätten. Was bedeutet das alles für uns heute? Nach meinem Verständnis geht es darum, einen gesunden Pragmatismus zu entwickeln. Es stimmt zwar, vielen Leuten geht es aktuell nicht gut, aber die Rahmenbedingungen für einen Neustart sind besser denn je. Selbst wenn man seinen Job verloren hat, aber gesund ist, kann man direkt wieder loslegen. Vielleicht in einem anderen Beruf, mit anderen Herausforderungen. Aber es geht weiter.
Die wenigsten Menschen mögen Veränderungen, den meisten machen sie Angst
Das stimmt. Der Mensch hängt am Status Quo. Die Wahrheit ist, dass wir eigentlich sehr träge sind, Neues auszuprobieren. Wir reagieren immer nur auf Außenimpulse. Wir sind physiologisch gar nicht darauf ausgelegt, uns proaktiv zu verändern. Der Energieverbrauch unseres Gehirns ist sehr hoch. Der Mensch verbrennt allein 20 Prozent der Kalorien im Schlaf. Wir sind also nicht darauf programmiert, uns zu sehr zu verausgaben.
Wir stehen an einem kritischen Punkt. Nachdem es die letzten Jahre und Jahrzehnte (bis auf ein paar Dellen) immer bergauf ging, gibt es nun existenzielle Bedrohungsszenarien. Wie reagieren die Menschen darauf?
Ich teile Ihre Meinung in diesem Punkt nicht. Ich glaube, was sich jetzt verändert hat, ist das Bewusstsein. Die Probleme zeichneten sich bereits vorher ab, wir haben sie ausgeblendet. Die technologischen Entwicklungen haben einiges verschoben in der Arbeitswelt. Was machen wir beispielsweise mit den Jobs, die wegfallen durch künstliche Intelligenz? Was machen wir mit den Leuten, die ersetzt werden durch neue Technologien? Corona war nur eine Zäsur, die uns die Schieflage schonungslos offengelegt hat.
Fair point. Kommen wir mal auf die Unternehmen zu sprechen. Was können Führungskräfte tun, um ihre Teams entsprechend zu stärken?
Führungskräfte müssen sich im Grunde genommen an sich selbst orientieren, weil auch sie mit den Gegebenheiten der Pandemie umgehen müssen. Was sie dennoch unterscheidet: Oft leben sie in einem eher privilegierten Umfeld und sind meist etwas erfahrener, weil älter. Sie stecken in einer anderen Lebensphase und müssen im Gegensatz zu jüngeren Mitarbeitenden nicht mehr mit Homeschooling oder geschlossenen Kitas kämpfen. Und hier liegt gleichzeitig ein Auftrag begründet. Vorgesetzte sollten sich in die Lage dieser jüngeren Kolleginnen und Kollegen versetzen, Empathie zeigen. Es geht in diesen Zeiten mehr denn je um echte Anteilnahme und echtes Interesse. Die Frage „Wie geht es dir“ sollte also wirklich ernst gemeint sein.
Müssen Führungskräfte überdurchschnittlich resilient sein?
Mich irritiert das Präfix „über“. Das würde auf ein „zu viel“ hinweisen, vergleichbar mit motiviert und übermotiviert. Hieße im Umkehrschluss, dass das Pendel in die andere Richtung ausschlägt. Man wäre so entspannt, dass man wahrscheinlich vergessen würde zu atmen. Ich glaube, dass man entweder resilient oder nicht resilient sein kann. Worauf es als Führungskraft wirklich ankommt, ist, ein gutes Vorbild zu sein, auf sich zu achten – dann achtet man auch auf sein Team.
Was können Unternehmen überhaupt tun, um Mitarbeiter zu stärken?
Entscheidend ist, die Ressourcen intelligent einzusetzen und zum Beispiel auf das Einhalten von Pausen zu achten. Unternehmen haben das mittlerweile auch erkannt. Ich habe zwei Kunden, bei denen ist es in der Kalendereinstellung technisch nicht mehr möglich, zwei Termine nahtlos aneinander zu legen. Die interne IT-Abteilung hat die Einstellungen so programmiert, dass zwischen jedem Meeting 15 Minuten Pause sein müssen. Es entsteht allmählich ein neues Verantwortungsbewusstsein bei den Unternehmen, was die Fürsorgepflicht angeht. Nur weil die Leute mobil arbeiten, geht den Führungskräften ja nicht die Fürsorgepflicht ab. Im Gegenteil. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Zurückhaltung beim Thema Homeoffice vorbei ist. Durch das Tracking ist klar, dass die Menschen eher mehr als weniger arbeiten. Ob damit auch die Qualität besser ist, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Was kann jeder und jede Einzelne für sich tun, um besser durch Krisen zu kommen?
Netzwerke und soziale Beziehungen haben einen enormen Effekt und entscheiden darüber, wie stark einen die Einschläge treffen. Menschen, die ein gutes Umfeld haben, die in sich ruhen und stabil sind, ertragen schwierige Situation besser als Personen, die ohnehin schon überfordert sind mit dem normalen Alltag. Das bedeutet: Die Trennlinie verläuft nicht zwischen den Stärkeren und Schwächeren, zwischen den Resilienteren und den weniger Resilienten, sondern es kommt auf die Rahmenbedingungen an. Sie bestimmen zu einem hohen Maß, wie lange sich eine schwierige Situation aushalten lässt. Ein wichtiger Faktor für mehr Resilienz ist aus meiner Sicht auch Regeneration, Eigenverantwortung und Selbstreflexion. Auch hier hat uns die Pandemie den Spiegel vorgehalten. Wir lernen auf einmal, dass wir evolutionär nicht dafür gemacht sind, 16 Stunden zusammen in der Höhle ums Feuer zu sitzen. Sondern dass man auch mal Abstand braucht und seiner Wege gehen will. Unsere sozialen Beziehungen werden jetzt auf eine harte Probe gestellt. Etwa in Beziehungen, wo beide Partner im Homeoffice sitzen, Kinder versorgt und beschult werden müssen und man vielleicht pflegebedürftige Angehörige hat, die man nicht besuchen kann. Das sind psychologische Multiplikatoren, die einen so unfassbar hohen Druck erzeugen, dass irgendwann selbst der robusteste Mensch zusammenbricht.
Wie wichtig ist Bewegung? Man liest immer wieder, dass Sport entscheidend sei für die psychische Stabilität.
Wir sind dafür gemacht, uns zu bewegen, doch leider bewegen wir uns zu wenig. Mit dem Ergebnis, dass der gesamte Körper darunter leidet und wir uns nicht gut fühlen. Die Widerstandsfähigkeit nimmt ab. Es ist interessant, sich mit Kampfkünsten wie Tai Chi und Qigong zu beschäftigen oder auch mit Yoga. In den asiatischen Philosophien geht es immer um eine Balance zwischen Körper und Geist und darum, die Beweglichkeit des Körpers über einen möglichst langen Zeitraum zu erhalten. Was allerdings nicht bedeutet, dass man es übertreiben sollte. Kein Mensch muss Marathon laufen, oder täglich 20 Kilometer radfahren oder auf jeden Berg klettern – es sei denn, man hat Lust dazu, bewusst an seine Grenzen zu gehen. Problematisch sind die Exzesse. Ich hatte Teilnehmer in meinen Kursen, die von Ermüdungsbrüchen im Becken durch ihr Triathlontraining berichteten. Das ist nicht gesund. Das sind zusätzliche Stressoren, die das Gegenteil von Resilienz bewirken.
Wir haben über Resilienz bei Menschen gesprochen. Heben wir das mal auf eine andere Ebene: Was macht eigentlich ein resilientes Unternehmen aus?
Ich finde Ihr Bild schön, weil es zutrifft. Es ist eine andere Ebene. Doch das Prinzip ist eigentlich das gleiche. Ein Unternehmen ist ein Organismus, das durch seine Umwelt geprägt wird. Insofern gelten dieselben Regeln wie für ein Individuum. Auch das Unternehmen ist Änderungen und Schwankungen unterworfen. Bei mir ist zum Beispiel das Geschäft im Trainingsbereich zurückgegangen, weil das in erster Linie von Präsenz lebt. Dafür gehen Personalberatungsaufträge momentan durch die Decke. Das bedeutet, man muss immer beobachten: Wie verändern sich die Bedingungen und wie stellen wir uns darauf ein? Um mal ein Beispiel zu geben: Der Außendienst ist fast komplett weggefallen durch die Pandemie. Das Key Account Management lief digital. Was passiert mit all den Außendienstmitarbeitenden? Natürlich wird es auch in Zukunft Kontakte geben, die man persönlich pflegen muss. Doch man wird zunehmend auf Kundinnen und Kunden treffen, die sagen: Lassen Sie uns das schnell per Zoom abwickeln.
Letzte Frage: Gibt es Charakterzüge oder bestimmte Merkmale bei Menschen, die auf Resilienz hinweisen? Existiert beispielsweise eine Korrelation zwischen Kommunikationsfähigkeit und Humor und Resilienz?
Ich glaube nicht, dass man es so einfach einordnen kann, dass es so simplen Mustern folgt. Natürlich könnte man vermuten, dass Menschen, die humorvoll, kommunikativ und extrovertiert sind, wahrscheinlich viele Sozialkontakte und ein größeres Netzwerk haben – was grundsätzlich Resilienz befördert. Das heißt aber nicht, dass die Stilleren, Introvertierten, die Ruhe suchen und das Alleinsein genießen, nicht genauso resilient sein können.